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Kommentar Wahl in Saudi-ArabienWandel ja, Demokratie nein

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Nach der Einführung des Frauenwahlrechts kann sich das Königreich als zukunftsorientiert darstellen. Autoritär bleibt es trotzdem.

Sie dürfen erstmals wählen und sich zur Wahl stellen: Frauen in Saudi-Arabien. Foto: ap

W ie bitte? Saudi-Arabien wählt? Richtig, und erstmals dürfen Frauen dabei nicht nur mitmachen, sondern sich auch selbst zur Wahl stellen. „Völlig unbedeutend!“, mäkeln Kritiker. Die Lokalräte kümmerten sich ja ohnehin nur um Grünanlagen, Schlaglöcher und öffentliche Klos. Das Königreich bleibe eine frauenfeindliche absolute Monarchie.

Stimmt. Unbedeutend ist die Regionalwahl dennoch nicht. Die Einschätzung entspringt einem orientalistischen Blick auf eine Gesellschaft, die weltweit als Buhmann angesehen wird, als unmodern und rückständig, als das Böse schlechthin. Ein König bestimmt, wo’s langgeht. Frauen haben die Klappe zu halten. Und Menschenrechtler werden ausgepeitscht oder gleich geköpft.

Das ist in Teilen ebenso wahr wie abscheulich, heißt aber nicht, dass in Saudi-Arabien die Zeit stillsteht. Die Dinge bewegen sich auch hier – in diesem Fall in die richtige Richtung. Das Wahlrecht ist ein kleiner Schritt auf dem steinigen Weg, den saudische Frauen mit viel Ausdauer zurücklegen. Er folgt der Schulpflicht für Mädchen, den ersten weiblichen Mitgliedern der Schura-Versammlung sowie den ersten Anwältinnen, Verkäuferinnen und Chefredakteurinnen. All das ist nicht selbstverständlich in Saudi-Arabien.

Die Entwicklung gibt den Menschen Hoffnung – auf Wandel, nicht auf Demokratie. Das Land bleibt ein autoritärer Staat. Erst recht, wenn sich die Herrschenden dem Wandel nicht verweigern.

Mit dem Frauenwahlrecht hat sich die Regierung dem öffentlichem Druck gebeugt und es gegen das religiöse Establishment durchgesetzt, das in Saudi-Arabien so einflussreich ist wie in Deutschland nur die Auto-Lobby. Letztlich stärkt der Wandel damit die autoritäre Herrschaft. Das Haus Saud kann sich so als modern und zukunftsorientiert darstellen. Schlecht ist die Wahl dennoch nicht, nur mit Demokratie hat sie nichts zu tun.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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5 Kommentare

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  • "Die Lokalräte kümmerten sich ja ohnehin nur um Grünanlagen, Schlaglöcher und öffentliche Klos."

     

    Ja, um den nervigen Alltag dürfen sich die Burka-Babes kümmern, aber:

     

    +ohne Auto zu fahren,

    +ohne ihr Gesicht zeigen zu dürfen, +ohne Recht auf ihre eigenen Kinder im Falle einer Scheidung (per sms möglich!),

    +darf im Falle ihrer Unzucht mit der Steinigung rechnen (während ihr Mann das Geld im Puff auf den Kopf haut und drei weitere Frauen haben darf),

    +als unmündige Kinder behandelt vor Gericht (die Aussage einer Frau zähl halb soviel wie die eines Mannes) und +erbt genau halb soviel wie ihre Brüder.

     

    Aber mitbestimmen, wer wann das Klo putzt - wow - die Moderne ist in Saudi-Barbarien angekommen!

  • Immerhin, ein Wandel ist ein Wandel. Daß sich Gesellschaften nicht von heute auf morgen total umkrempeln lassen, sollte man inzwischen begriffen haben. Schland hat das Frauenwahlrecht auch noch keine hundert Jahre, also immer ruhig mit den jungen Pferden. Besser eine langsame und nachhaltige Wandlung als die US-initiierten Putsche und Bürgerkriege, welche die gesamte Region destabilisiert und etlichen Tausenden Menschen das Leben gekostet haben, ohne den geringsten gesellschaftlichen Fortschritt zu bewirken.

  • Schließe mich meinem Vorredner

    Ohne Wenn&Aber vorbehaltlos an.

    "…reaktionär-menschenverachtend bleibt es …"

    Wäre milde ausgedrückt.

    Vertan - taz.

     

    "…

    Wandel ja, Demokratie nein

    Nach der Einführung des Frauenwahlrechts kann sich das Königreich als zukunftsorientiert darstellen. Autoritär bleibt es trotzdem.…"

    Das und der Rest sind bodenloser Neusprech. Damit ist der Boden ziviler Journalistik verlassen. Punkt.

  • Sehr geehrte Redaktion,

     

    wie konnten die Worte "modern" und "zukunftsorientiert" in Ihren Artikel schlüpfen? Sind diese Schariakonform und dem wahabitischen Islam entlehnt, der in Saudi- arabien vorherrscht. Was für eine "rasante" Entwicklung. War der Autor im Märchen von 1001 Nacht verschwunden oder wurden ihm wie dem Blogger 1000 Peitschenhiebe angedroht? Welche Poesie angesichts der bekannten Tatsachen.

    Mit freundlichen Grüssen

    Henning Lilge

    • @Henning Lilge:

      Guten Morgen Herr Lilge, natürlich sind Peitschenhiebe für jemanden, der seine Meinung kund tut, völlig inakzeptabel sowie auch vieles anderes, was in Saudi-Arabien vor sich geht. Möchte aber auch darauf hinweisen, dass wir Deutschen 2 Weltkriege, 1 Holocaust sowie viele Jahrzehnte benötigt haben, bis wir ´s mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hin bekommen haben. Christian Luttermann