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Kommentar Vorwahl in FrankreichDie linke Depression

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Manuel Valls bezahlt für seine Regierungspolitik. Gesiegt haben die Kritiker vom linken Parteiflügel. Doch eine Chance haben die Sozialisten nicht.

Manuel Valls wurde für den zentristischen Kurs der gegenwärtigen Regierung abgestraft Foto: ap

M it Benoît Hamon geht ein Außenseiter als Favorit in die Stichwahl zur Nominierung des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten. Sein Gegner ist Manuel Valls. Dass er als Expremierminister in der ersten Runde dieser Vorausscheidung nur auf dem zweiten Platz liegt, ist eine Überraschung. Er ist in dieser Vorwahl der Kandidat der Kontinuität. Was er für seine Stärke hielt, hat sich jetzt als Handicap herausgestellt.

Valls bezahlt offensichtlich für seine Regierungspolitik. Mehr noch: für die gesamte Bilanz der Amtszeit von Präsident François Hollande. Der Vertrauens- und Sympathieverlust an der Basis der sozialistischen Wählerschaft ist krass. Die Vorwahl ist eine interne Abwahl von Hollande im eigenen Lager. Gesiegt haben die Kritiker vom linken Flügel der Partei.

Jetzt dramatisiert Valls seine missliche Ausgangslage. Er verkörpere den „möglichen Sieg“, Hamon dagegen die „sichere Niederlage“, warnte er am Sonntagabend die Sozialisten. Aber können diese überhaupt noch an einen Sieg glauben? Alle Umfragen besagen das Gegenteil und prophezeien eine schwere Niederlage. Weder Hamon noch Valls haben echte Chancen, es bei der Präsidentenwahl in die Entscheidungsrunde gegen den Konservativen François Fillon oder Marine Le Pen vom Front National zu schaffen. Die Aussicht eines Finales zwischen einer Rechtsextremistin und einem Konservativen mit einem neoliberalen Programm verstärkt noch die Resignation im Lager der Sozialisten.

Viele ihrer bisherigen WählerInnen sind bereits zu Emmanuel Macron oder Jean-Luc Mélenchon übergelaufen. Der sozialliberale Exminister und der selbsternannte linke Volkstribun wollen die jahrzehntelange Vorherrschaft des Parti socialiste im linken Lager Frankreichs beenden. Das hindert vorerst Hamon wie Valls nicht, weiterhin zu versichern, ihre Partei habe mit ihnen eine Zukunft. Wenn nicht 2017, dann vielleicht das übernächste Mal.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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4 Kommentare

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  • Über allem schwebt für mich die Frage, befinden sich unsere Nachbarn schon in der Vernunftphase oder läuft sich die populistische Trotzphase gerade heiß.

    1. Fillon mit seinem Programm der verbrannten Erde bei den staatlichen Beamten könnte dahinschmelzen wie ein Weichkäse am Mittelmeer (er will eine halbe Mio. Stellen streichen) Er hat aber fast ein Auftreten wie Humphrey Bogart.

    2. Der sozialliberale Macron und das gewisse je ne sais quoi. Dazu fiel einem Journalisten heute ein, dass er weder ein klares Programm noch eine zuverlässige Basis hat. 39jährige stehen sowieso meist gerade vor ihrer midlife crisis. Was dann wiederum zur Grande Nation passen würde.

    3. Dieser Hamon ist für sozialistische Verhältnisse sehr analytisch und durchdacht, ein Bernie Sanders Typ ohne beruhigenden Opa-Appeal. Also abschreiben würde ich ihn nicht, aber in jedem Fall bei Reden nur im close-up fotografieren oder auf eine Apfelsinenkiste stellen (Angela hats auch ohne geschafft). Oder er könnte dem hinreißenden Beispiel der deutschen Grünen folgen und z.B. Ségolène Royale bitten, mit ihm gemeinsam aufzutreten.

    4. Francois Bayrou, der Vernünftige, soll noch über eine Kandidatur nachdenken. Aber schon Hollande wirkte mal vernünftig, das hat sich wohl verbraucht.

    5. Coluche schaut sich das Ganze von Wolke 7 an und sagt: Wir brauchen mehr FRATERNITE.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Die sozialistische Partei Frankreichs ist tot und das ist auch gut so, sie stand einer Neuformierung des linken Lagers entgegen, nur eine Auflösung der sozialistischen Partei emöglicht eine Gründung einer breiten linken Bewegung nach dem Vorbild von Podemos, auch wegen dem französischen Wahlrecht, dass Parteien, die keine Direktmandate erzielen können von der Nationalversammlung ausschliesst. Für linke Wähler bleibt nur der nationalbolschewistische Mélenchon, trotz seines ausgeprägten Narzissmus und seiner penetranten Deutschfeindlichkeit.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Gibt es denn in ganz Frankreich keinen einzigen Nicht-Narzissten, der als Kandidat infrage kommt, verdammt noch mal!? Das kann ich mir nicht vorstellen! Das Land hat mehr als 66 Millionen Einwohner! Der Fehler muss woanders liegen...

       

      Vielleicht ist Politik einfach nicht attraktiv genug zur Zeit für Leute ohne "Stich". Wären die Parteien Unternehmen, würden deren Vorstände in so einer Situation (der "reinen Lehre" nach) entweder pleite gehen oder Konsequenzen ziehen - und ihre (Personal-)Strategie grundlegend überdenken. Parteimitglieder schaffen so was offensichtlich nicht. Schon blöd, wenn man ganz ohne Führung nicht zu können glaubt... :-(

  • Wirklich? Ist es tatsächlich eine "Überraschung" für Rudolf Balmer, dass Expremierminister Manuel Valls, der "Kandidat der Kontinuität" in der ersten Runde der Vorausscheidung nur auf dem zweiten Platz gelandet ist und seine vermeintliche Stärke sich als Handikap erwiesen hat? Wo hat er dann die letzten vier Jahre gesteckt? Auf einer einsamen Insel ohne Internet?

     

    Der Vertrauens- und Sympathieverlust an der Basis der sozialistischen Wählerschaft ist nicht nur "krass", er ist auch lange schon sichtbar. Hollande hat kein einziges seiner vielen Wahlversprechen, die alle auf ein: "Ich mache Frankreich und die Sozialisten wieder groß!" hinausgelaufen sind, einhalten können. Er hat so sehr enttäuscht, dass die sozialistische Basis den "möglichen Sieg", wenn überhaupt, inzwischen nur noch "Außenseitern" zutraut, die nicht zum "Establishment" gehören.

     

    Wobei Valls abgelegter Bildungs- und Forschungsminister Benoît Hamon ist ja auch nicht wirklich "Außenseiter". Er ist nicht mal ein französischer Bernie Sanders.

     

    Valls hat die Lektion, die seine (Nicht-)Wähler ihm erteilt haben mit der Stimmabgabe, offenbar nicht begriffen. Nix Einsicht in Notwendigkeit und so. Ob Benoît Hamon kapiert, bleibt abzuwarten. Die Chancen stehen schlecht. Leute wie diese sind teflonbeschichtet. An denen prallt jede Kritik rückstandslos ab. Es ist völlig egal, ob man sie nun in ein Lob verpackt oder in einen Tadel.

     

    Dass die französischen Sozialisten quasi von innen reformierbar sind, kann ich mir derzeit nicht vorstellen. So wenig, wei ich mir eine Erneuerung der SPD von innen heraus vorstellen kann. Das jeweilige (potentielle) Führungs-Personal ist viel zu sehr auf Pfründe fixiert und darauf, denen, die was zu verteilen haben, nicht unangenehm aufzufallen.