Kommentar Von der Leyens Doktortitel: Die falsche Entscheidung
Die Verteidigungsministerin darf ihren Doktortitel zu Unrecht behalten. Die Autonomie der Hochschulen geht zu weit.
F ünf Monate lang hat Ursula von der Leyen (CDU) auf ihr Überraschungsei gewartet. Am Mittwochabend durfte sie es öffnen und – Überraschung – sich freuen. Sie ist noch einmal davongekommen.
Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) erkennt der Verteidigungsministerin nicht den Doktortitel ab. Und das, obwohl die Prüfungskommission der Uni gravierende Fehler an der Dissertation festgestellt hat.
Für die Studierenden und Professoren der Bundeswehruniversitäten kann das nur eines bedeuten: Wenn sie wissenschaftliches Arbeiten ernstnehmen, kann von der Leyen nicht mehr ihre oberste Dienstherrin sein. Doch bislang ist es in München und Hamburg still.
Dass von dort noch kritische Töne kommen, darf bezweifelt werden. Schließlich zählt beim „Bund“ Loyalität im Zweifelsfall mehr als Rechtschaffenheit. Das zeigt nicht zuletzt auch der Umgang mit braunen oder schwulenfeindlichen Kameraden.
Willkür- und Vetternsystem, das niemandem nützt
Das wesentlich größere Problem liegt aber außerhalb der Bundeswehr. Sieben der neun Senatsmitglieder der MHH haben gegen die Aberkennung des Doktortitels gestimmt, nur einer dafür. Wie bitte? Von der Leyen hat laut den Plagiatsjägern von „Vroniplag Wiki“ auf 27 von 62 Seiten vorsätzlich abgeschrieben.
Für die Hochschule ist die Sache dennoch klar: Fehler sind kein Fehlverhalten. Ergo kann man nicht von vorsätzlicher Täuschung sprechen. So einfach ist es jedoch nicht. Denn die Senatsmitglieder hätten locker auch zu einem anderen Urteil kommen können. Oder besser gesagt: müssen.
Das zeigen vergleichbare Schummelarbeiten wie bei Ex-Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) oder Ex-EU-Parlamentarierin Silvana Koch-Mehring (FDP). In beiden Fällen hat die Uni den Doktortitel aberkannt und damit die politische Karriere der Schummlerinnen jäh beendet. In zahlreichen anderen Fällen hingegen hielten die Universitäten allerdings auch zu ihren Zöglingen. Ob aus falscher Loyalität, Angst vor persönlichen Konsequenzen oder oder dem Unvermögen, Fehler bei der Betreuung einzugestehen, ist schwer zu sagen.
Es spielt aber keine Rolle. Solange weder Prüfungskommissionen noch Hochschulleitungen transparent machen, wie und anhand welcher Kriterien sie zu ihrer jeweiligen Entscheidung kommen, sind Plagiatsaffären politische Überraschungseier. Mit dem Unterschied, dass die Beschenkten diejenigen kennen, die ihre Eier befüllen. Das muss sich ändern.
So sinnvoll die Autonomie der Hochschulen in vielen Punkten ist, hier verstärkt sie ein Willkür- und Vetternsystem, das niemandem nützt: Nicht den PolitikerInnen, die offensichtlich verschont werden sollen, nicht der Wissenschaft, die sich lächerlich macht, und nicht denen, die ernsthaft forschen und für die eine Doktorarbeit mehr ist als ein reines Karrieresprungbrett.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren