Kommentar Verurteilte Polizisten S21: Mit zweierlei Maß
Das Stuttgarter Amtsgericht verurteilt drei Polizisten, die bei den Protesten gegen S21 allzu gewalttätig gegen Demonstranten vorgingen. Gut so!
Es ist höchst selten, dass Polizisten im Dienst verurteilt werden: Stuttgart im September 2010. Bild: imago/Arnulf Hettrich
Sieben Monate auf Bewährung für den Verlust des Augenlichtes? Die Strafbefehle des Stuttgarter Amtsgerichts gegen drei Polizisten scheinen milde – für die Opfer der massiven Polizeigewalt vom „schwarzen Donnerstag“ vor drei Jahren müssen sie wie eine Verhöhnung wirken. Zumal die Strafen nicht einmal bewirken, dass die verantwortlichen Beamten aus dem Dienst suspendiert werden.
Dennoch muss man bei der Beurteilung der Gerichtsentscheidung genauer hinschauen, denn es ist höchst selten, dass Polizisten im Dienst verurteilt werden. Das kommt schon einer kleinen Sensation gleich. Zumal die ergangenen Strafbefehle gegen die drei nun vorbestraften Polizisten für diese nicht folgenlos bleiben und einen Karriereknick bedeuten dürften. Immerhin, muss man also sagen.
Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl: Vergleicht man die Urteile mit dem Eifer, den die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen Bahnhofsgegner an den Tag legte, liegt der Verdacht nahe, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Verurteilung der drei Polizisten hat drei Jahre gedauert, während gegen Demonstranten schnell und besonders akribisch ermittelt wurde – umstrittene Hausdurchsuchungen inklusive. Dieser Verdacht der einseitigen Parteinahme verdichtet sich, weil bisher weder der damals verantwortliche Polizeipräsident noch die ehemalige Landesregierung zur Verantwortung gezogen wurden.
Das Problem der Verurteilung von Polizeigewalt ist zunächst ein strukturelles. Staatsanwälte sind bei ihren Ermittlungen gegen Polizisten eben auf jene Polizei angewiesen, zudem stehen sich beide Behörden in der alltäglichen Arbeit sehr nahe. Dass es in Baden-Württemberg wie in den meisten Bundesländern weder eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, noch eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt gibt, macht die Sache nicht einfacher.
Doch das Problem im Falle der S21-Prozesse ist auch ein explizites Stuttgarter Phänomen. Aufgrund der unguten Verstrickungen zwischen Polizeiführung und Staatsanwaltschaft drängt sich der Vorwurf auf, dass die nun zur Rechenschaft gezogenen Polizeibeamte zwar eine Mitverantwortung tragen, aber letztlich nur Bauernopfer sind.
Laut Medienberichten soll der besonders umstrittene Leiter der „politischen Abteilung“ der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Bernhard Häußler, den „schwarzen Donnerstag“ gemeinsam mit der Polizeiführung verbracht haben. Gleichzeitig übernahm er federführend die Ermittlungen gegen die Polizei, die meist im Sande verliefen. Dieses Geklüngel schadet dem Ruf von Polizei und Justiz enorm. Dass der gescholtene Häußler nun zurücktritt, bietet der Justiz zumindest die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen.
Aber auch die grün-rote Landesregierung steht in der Verantwortung, dieses Geflecht weiter aufzulösen und für Aufklärung zu sorgen, auch im Sinne der Glaubwürdigkeit von Polizei und Justiz. Bisher geschieht allerdings recht wenig - weil die SPD mehrheitlich für Stuttgart 21 ist und die Grünen den Koalitionsfrieden wahren wollen. Doch dafür wird die einstige Protest-Partei spätestens bei den nächsten Wahlen abgestraft werden.
Kommentar Verurteilte Polizisten S21: Mit zweierlei Maß
Das Stuttgarter Amtsgericht verurteilt drei Polizisten, die bei den Protesten gegen S21 allzu gewalttätig gegen Demonstranten vorgingen. Gut so!
Es ist höchst selten, dass Polizisten im Dienst verurteilt werden: Stuttgart im September 2010. Bild: imago/Arnulf Hettrich
Sieben Monate auf Bewährung für den Verlust des Augenlichtes? Die Strafbefehle des Stuttgarter Amtsgerichts gegen drei Polizisten scheinen milde – für die Opfer der massiven Polizeigewalt vom „schwarzen Donnerstag“ vor drei Jahren müssen sie wie eine Verhöhnung wirken. Zumal die Strafen nicht einmal bewirken, dass die verantwortlichen Beamten aus dem Dienst suspendiert werden.
Dennoch muss man bei der Beurteilung der Gerichtsentscheidung genauer hinschauen, denn es ist höchst selten, dass Polizisten im Dienst verurteilt werden. Das kommt schon einer kleinen Sensation gleich. Zumal die ergangenen Strafbefehle gegen die drei nun vorbestraften Polizisten für diese nicht folgenlos bleiben und einen Karriereknick bedeuten dürften. Immerhin, muss man also sagen.
Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl: Vergleicht man die Urteile mit dem Eifer, den die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen Bahnhofsgegner an den Tag legte, liegt der Verdacht nahe, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Verurteilung der drei Polizisten hat drei Jahre gedauert, während gegen Demonstranten schnell und besonders akribisch ermittelt wurde – umstrittene Hausdurchsuchungen inklusive. Dieser Verdacht der einseitigen Parteinahme verdichtet sich, weil bisher weder der damals verantwortliche Polizeipräsident noch die ehemalige Landesregierung zur Verantwortung gezogen wurden.
Das Problem der Verurteilung von Polizeigewalt ist zunächst ein strukturelles. Staatsanwälte sind bei ihren Ermittlungen gegen Polizisten eben auf jene Polizei angewiesen, zudem stehen sich beide Behörden in der alltäglichen Arbeit sehr nahe. Dass es in Baden-Württemberg wie in den meisten Bundesländern weder eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, noch eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt gibt, macht die Sache nicht einfacher.
Doch das Problem im Falle der S21-Prozesse ist auch ein explizites Stuttgarter Phänomen. Aufgrund der unguten Verstrickungen zwischen Polizeiführung und Staatsanwaltschaft drängt sich der Vorwurf auf, dass die nun zur Rechenschaft gezogenen Polizeibeamte zwar eine Mitverantwortung tragen, aber letztlich nur Bauernopfer sind.
Laut Medienberichten soll der besonders umstrittene Leiter der „politischen Abteilung“ der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Bernhard Häußler, den „schwarzen Donnerstag“ gemeinsam mit der Polizeiführung verbracht haben. Gleichzeitig übernahm er federführend die Ermittlungen gegen die Polizei, die meist im Sande verliefen. Dieses Geklüngel schadet dem Ruf von Polizei und Justiz enorm. Dass der gescholtene Häußler nun zurücktritt, bietet der Justiz zumindest die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen.
Aber auch die grün-rote Landesregierung steht in der Verantwortung, dieses Geflecht weiter aufzulösen und für Aufklärung zu sorgen, auch im Sinne der Glaubwürdigkeit von Polizei und Justiz. Bisher geschieht allerdings recht wenig - weil die SPD mehrheitlich für Stuttgart 21 ist und die Grünen den Koalitionsfrieden wahren wollen. Doch dafür wird die einstige Protest-Partei spätestens bei den nächsten Wahlen abgestraft werden.
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Schwerpunkt Stuttgart 21
Kommentar von
Timo Reuter
Autor
Jahrgang 1984, ist Autor der taz in Frankfurt. Bereits seit Kindertagen spielt er gern mit Worten. Hat deshalb Philosophie studiert (und Mathematik). Nach Stationen bei Radio (Spaß) und Fernsehen (Öffentlich-Rechtlich) schreibt er ein Buch (Grundeinkommen) und berichtet seit mehreren Jahren für die taz, die Frankfurter Rundschau, Zeit Online, den Freitag, das Neue Deutschland und verschiedene Lokalzeitungen über das politische Zeitgeschehen, soziale Bewegungen, gesellschaftlichen Stillstand, Medien, Fußball und über diejenigen, die sonst keine Stimme bekommen.
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