Kommentar Verhaftungen in Katalonien: Es gibt wieder politische Gefangene
Die spanische Regierung setzt auf Repression: Zwei Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung sind im Gefängnis.
E ines muss man Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy lassen. Er versteht es, wichtige Jahrestage zu feiern. Am Sonntag jährte sich das Amnestiegesetz, mit dem die politischen Gefangenen der Franco-Diktatur ihre Freiheit erlangten, zum 40. Mal. Am Montag beantragte die Staatsanwaltschaft, die direkt dem Justizministerium unterstellt ist, die Verhaftung der Vorsitzenden der Katalanischen Nationalversammlung (ANC), Jordi Sànchez, und der Kulturorganisation Òmnium, Jordi Cuixart. Das Gericht gab dem statt. Sie sitzen seit Montagabend in Haft – ohne Kaution. Spanien hat nach 40 Jahren wieder politische Gefangene.
ANC und Òmnium bilden das Rückgrat der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Ihren Vorsitzenden wird „Aufstand“ vorgeworfen. Dabei blieben die Proteste völlig friedlich. Einzige Schäden: ein paar platte Reifen an drei Polizeifahrzeugen, die zudem mit Aufklebern verziert wurden. Wenn das Aufstand ist, wie nennen wir es dann erst, wenn irgendwann einmal – was keiner hoffen mag – Barrikaden errichtet werden sollten?
„Mit Politik ist alles möglich“, mussten sich die baskischen Separatisten immer wieder anhören, als sie sich noch dem bewaffneten Kampf verpflichtet fühlten. Die Katalanen nahmen dies ernst. Sie bauen seit Jahren eine friedliche Bürgerbewegung für die Unabhängigkeit auf. ANC und Òmnium sind dabei die treibenden Kräfte. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen, das Referendum zur Unabhängigkeit trotz Verbot durchzuführen.
Statt ein ganz offensichtlich politisches Problem mit Politik – also Dialog – zu beantworten, setzt die Regierung in Madrid weiterhin auf Repression. Es sieht ganz so aus, als wolle Rajoy, dass die Situation explodiert. So kann er von seinen eigenen Skandalen ablenken. Es laufen Dutzende Verfahren gegen ranghohe Politiker aus Rajoys Umfeld wegen milliardenschwerer Korruption. Die meisten Beschuldigten sind, anders als Sànchez und Cuixart, auf freiem Fuß.
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