piwik no script img

Kommentar Urteil zur FixierungFesseln verliert an Attraktivität

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Fixierung von Psychiatrie-Patienten ist demütigend. Genutzt wird sie bislang oft bei Personalmangel. Dem beugt Karlsruhe jetzt indirekt vor.

Mit dem Patienten eine rauchen gehen, ist weitaus effektiver – und erfordert keine Demütigung Foto: Unsplash/ S Alb

D ie zwangsweise Unterbringung von psychisch Kranken in einer Klinik muss heute schon von einem Richter angeordnet werden. Das heißt aber nicht, dass die Kliniken mit den Patienten anschließend machen können, was sie wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt zu Recht festgestellt, dass das Fixieren und Festbinden von Patienten eine neue richterliche Zustimmung benötigt.

Die Fixierung geht noch einmal weit über den Einschluss in einem Gelände oder einem Gebäude hinaus. Denn natürlich wird diese Situation von vielen Betroffenen als demütigend und traumatisch erlebt, wenn man sich kaum noch bewegen kann, wenn man ohne rechtzeitige Hilfe der Pfleger in die Unterwäsche pinkeln muss.

Der Richtervorbehalt kann nun sicherstellen, dass die Fixierung nicht missbraucht wird, um unliebsame Patienten zu bestrafen oder um Personalengpässe zu kompensieren. Bei der mündlichen Verhandlung im Januar zeigte sich, dass fehlendes Personal durchaus zu mehr Fixierungen führen kann. Wenn der Aufnahmearzt genug Zeit hat, kann er mit dem Eingelieferten erst mal eine rauchen gehen, das helfe oft schon zur Beruhigung, erklärte ein Sachverständiger. Wenn aber noch sieben weitere Patienten warten, sei das schwierig. Die Amtsrichter müssen künftig also nicht nur die Situation des Betroffenen bewerten, sondern auch die der Klinik – wenn der Richtervorbehalt etwas bringen soll.

Wichtiger als der Richtervorbehalt könnte deshalb die von Karlsruhe auch geforderte „1-zu-1-Betreuung“ während der Fixierung sein. Hierfür müssen die Kliniken künftig also deutlich mehr Personal aufwenden – damit die Fixierung Teil der Therapie sein kann und nicht zur bloßen Stilllegung verkommt. So ausgestaltet verliert die Fixierung aber automatisch an Attraktivität für die Kliniken. Wenn mehr Personal benötigt wird, taugt die Fixierung nicht mehr als Notnagel bei personellen Engpässen. Das haben die Richter zwar so nicht formuliert, aber sicher so gedacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Dr. Rath, könnten Sie bitte einmal darauf eingehen wie dieses totale Ausgeliefertsein des Betroffenen bei einer solchen Fixierung ihn nicht in seiner Menschenwürde verletzt?

    Ich kann mir zudem nicht erklären wie das bei Patienten mit z.B. schwersten Angststörungen und/oder Wahnvorstellungen nicht noch zu einer Bestätigung und somit Verschlimmerung/Verfestigung der Störung führen soll und wie das für ihn einen Unterschied machen soll wenn er nicht "einsichtig" wäre ob das nur 29,9 Minuten dauert oder mehr.



    Er würde die Ankündigung dann ja nicht einmal verstehen.

    Vor allem wer kontrolliert das, stoppt die Zeit und verhindert Kettenfixierungen von 100 x 29,9 Minuten? Diesselben Ärzte und Pfleger die sie durchführen?



    Gaaar kein Missbrauchspotential.

  • @Christian: Sehr witzig, die Anspielung auf SM-Praktiken.



    @RIVERBLUE13: Fixierung ist eine ärztlich anzuordnende Maßnahme und die Indikation ist der Schutz des Patienten vor sich selbst, z.B. bei Selbstmordabsichten oder Gefahr von schweren Stürzen (z.B. Patient der durch Alkohol oder Drogen völlig unkoordiniert und gleichzeitig noch wehrig ist und Drang zum klettern oder weglaufen hat). Oft müssen Ärzte von internistischen Notaufnahmen/Intensivstationen diese Maßnahmen anordnen und die Pat. werden monitorisiert (maschinell überwacht).



    I.Ü: Ein richterlicher Bereitschaftsdienst mit einer nächtlichen 9-stündigen Lücke ist doch völlig inkonsequent, wenn postuliert wird, das nicht der Arzt sondern der Richter die Anordnung treffen soll (der i.Ü keine medizinischen Fachkenntnisse hat und die Situation auch eigentlich vor Ort selbst in Augenschein nehmen müsste).



    Ein Pat., der ohne eine solche (zugegeben drastische) Maßnahme zu schaden käme, hätte ebenso das Recht die Behandler zu verklagen (oder seine Hinterbliebenen), so dass das Dilemma der Entscheidung doch beim Arzt und dem Pflegepersonal bleibt.

  • Sehr interessant. Gilt das nur für Psychiatrien oder auch für Fixierungen in "normalen" Krankenhäusern? Kann ein Arzt die Fixierung anordnen oder muss jede Fixierung durch einen Richter angeordnet werden?

    • @riverblue13:

      Mein Vater wurde stundenlang am Stück in einer "normalen" klinik fixiert, weil er Durchgangssyndrom hatte und zum Wandern neigte.



      Es war Sommer 2008 und wenn wir nicht waren, hat auch keiner ans Trinken gedacht.

    • @riverblue13:

      Freiheitsentzug darf kein Arzt bestimmen. Im Urteil ging es um zwangsuntergebrachte Patienten, wo der Freiheitsentzug schon vom Richter genehmigt wurde. Im normalen Krankenhaus wo man "freiwillig" ist darf das nicht ohne Richter (notfalls nachträglich) veranlasst werden.

    • @riverblue13:

      Freiheitsentzug darf kein Arzt bestimmen. Im Urteil ging es um zwangsuntergebrachte Patienten, wo der Freiheitsentzug schon vom Richter genehmigt wurde. Im normalen Krankenhaus wo man "freiwillig" ist darf das nicht ohne Richter (notfalls nachträglich) veranlasst werden.