Kommentar Urteil zur Fixierung: Fesseln verliert an Attraktivität
Die Fixierung von Psychiatrie-Patienten ist demütigend. Genutzt wird sie bislang oft bei Personalmangel. Dem beugt Karlsruhe jetzt indirekt vor.
D ie zwangsweise Unterbringung von psychisch Kranken in einer Klinik muss heute schon von einem Richter angeordnet werden. Das heißt aber nicht, dass die Kliniken mit den Patienten anschließend machen können, was sie wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt zu Recht festgestellt, dass das Fixieren und Festbinden von Patienten eine neue richterliche Zustimmung benötigt.
Die Fixierung geht noch einmal weit über den Einschluss in einem Gelände oder einem Gebäude hinaus. Denn natürlich wird diese Situation von vielen Betroffenen als demütigend und traumatisch erlebt, wenn man sich kaum noch bewegen kann, wenn man ohne rechtzeitige Hilfe der Pfleger in die Unterwäsche pinkeln muss.
Der Richtervorbehalt kann nun sicherstellen, dass die Fixierung nicht missbraucht wird, um unliebsame Patienten zu bestrafen oder um Personalengpässe zu kompensieren. Bei der mündlichen Verhandlung im Januar zeigte sich, dass fehlendes Personal durchaus zu mehr Fixierungen führen kann. Wenn der Aufnahmearzt genug Zeit hat, kann er mit dem Eingelieferten erst mal eine rauchen gehen, das helfe oft schon zur Beruhigung, erklärte ein Sachverständiger. Wenn aber noch sieben weitere Patienten warten, sei das schwierig. Die Amtsrichter müssen künftig also nicht nur die Situation des Betroffenen bewerten, sondern auch die der Klinik – wenn der Richtervorbehalt etwas bringen soll.
Wichtiger als der Richtervorbehalt könnte deshalb die von Karlsruhe auch geforderte „1-zu-1-Betreuung“ während der Fixierung sein. Hierfür müssen die Kliniken künftig also deutlich mehr Personal aufwenden – damit die Fixierung Teil der Therapie sein kann und nicht zur bloßen Stilllegung verkommt. So ausgestaltet verliert die Fixierung aber automatisch an Attraktivität für die Kliniken. Wenn mehr Personal benötigt wird, taugt die Fixierung nicht mehr als Notnagel bei personellen Engpässen. Das haben die Richter zwar so nicht formuliert, aber sicher so gedacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin