piwik no script img

Kommentar Ungarns GrenzschließungPragmatische Lösungen

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Dass Ungarn seine Grenze schließt, hat gravierende Folgen für die Nachbarländer. Am Schluss hat Griechenland den Schwarzen Peter.

Im Dorf Berkasavo am Sonntag an der serbisch-kroatischen Grenze. Foto: ap

D ie Entscheidung der ungarischen Regierung, in der Nacht zum Samstag das letzte Schlupfloch durch die Grenzanlagen zu EU-Mitglied Kroatien für Flüchtlinge zu schließen, hat jetzt schon zu einem Rückstau mit Konsequenzen für die anderen Staaten geführt.

Indem die slowenische Regierung erklärte, auf der Alternativroute durch das EU- und Schengenland täglich nur 2.500 Flüchtlinge durchzulassen, brachte sie Kroatien dazu, die Grenze zu Serbien – erst einmal teilweise – zu sperren. Nicht-EU-Mitglied Serbien wird bald ebenfalls gegenüber Mazedonien reagieren, am Schluss hat Griechenland den Schwarzen Peter. Alle diese Länder wollen selbst keine Flüchtlinge aufnehmen.

Ungarns Regierungschef Orbán steht da nicht allein. In Kroatien werden die Flüchtlinge nur geduldet, wenn sie so schnell wie möglich weiterreisen. Dafür hat der Staat in den letzten Wochen sogar Busse und Eisenbahnzüge mobilisiert. Wenn die demokratische Reife einer Gesellschaft sich darin erweist, in Krisensituationen nach pragmatischen Lösungen zu suchen, dann hätte Kroatien die Probe nach außen hin bestanden.

In Wirklichkeit jedoch war die islamophobe Haltung weiter Teile der Bevölkerung nur dadurch einzugrenzen, indem man die Flüchtlinge nach Norden weiterreicht. Schon jetzt zeichnet sich bei den anstehenden Parlamentswahlen im November in Kroatien ein Rechtsruck ab. Die sozialdemokratische Regierung, die sich in ihrer Rhetorik an die deutschen Sprachregelungen anlehnt, wird angesichts der Entwicklung der letzten Tage weiter unter Druck geraten.

Wäre das erzkatholische Kroatien gezwungen, Muslime aus Syrien und Afghanistan auf längere Zeit durchzufüttern, hätte die bisher oppositionelle rechte Kroatische Demokratische Gemeinschaft HDZ bei den Wahlen leichtes Spiel, in großen Teilen des Landes die angesichts der wirtschaftlichen Krise gebeutelte Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

0 Kommentare