piwik no script img

Kommentar Tsipras’ VertrauensfrageKampf um die eigene Mehrheit

Jannis Papadimitriou
Kommentar von Jannis Papadimitriou

Der griechische Premier hat keine andere Wahl als die Flucht nach vorne: Er wird sich einem Vertrauensvotum stellen, notfalls gibt es Neuwahlen.

Hoffnungsträger vor rotem Grund. Foto: ap

S eit Ausbruch der Schuldenkrise 2009 haben die Griechen schon einiges erlebt. Aber was sich in der Nacht zum Freitag im Parlament abgespielt hat, markiert definitiv einen neuen Höhepunkt der politischen Auseinandersetzung.

Nahezu geschlossen votierte die konservative und sozialdemokratische Opposition für eine Sparvorlage der Linksregierung, die Premier Alexis Tsipras noch vor wenigen Monaten verteufelt hatte und nun doch als einzigen Ausweg aus der Krise verteidigt. Dabei wurde die Parlamentssitzung in die Länge gezogen, weil sich einzelne Regierungsabgeordnete untereinander Verbalattacken lieferten, während die Oppositionskollegen interessiert zuschauten.

So wird es nicht lange weitergehen können – zumal der konservative Oppositionsführer Evangelos Meimarakis bei der jüngsten Parlamentsdebatte wiederholt und deutlich klargestellt hat, dass die Flitterwochen mit Linkspremier Tsipras vorbei sind.

Tsipras weiß das und ergreift die Flucht nach vorne: Ende August will er die Vertrauensfrage im Parlament stellen. Bis dahin wird es wohl einsamer um Tsipras werden, zumal Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou sich als neuer Gegenpol zum Premier aufbaut und der inzwischen gefeuerte Energieminister Lafazanis „Widerstandskomitees“ gegen die Sparpolitik in ganz Griechenland gründen will.

Eine Möglichkeit bliebe Tsipras noch, um die Abweichler loszuwerden und Neuwahlen trotzdem zu vermeiden: Er könnte zum Renzi Griechenlands mutieren und die Bildung einer breiten, pro-europäischen Koalition in Angriff nehmen, ohne dabei seine Linksagenda ganz aufzugeben. Ein schwieriges Unterfangen, das aber möglicherweise mehr Spaß machen würde als das gemeinsame Regieren mit Lafazanis. Einziger Haken: Die Rolle des überparteilichen Moderators hat Tsipras bisher immer abgelehnt – allerdings nicht vehementer als eine Kreditvereinbarung mit den internationalen Geldgebern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jannis Papadimitriou
Auslandskorrespondent Griechenland
Jahrgang 1969, berichtet aus Athen u.a. für die taz und die Deutsche Welle. Er studierte Jura in Bonn und war langjähriger freier Mitarbeiter des WDR und der Deutschen Welle. Auch in Griechenland hat er als Redakteur und Live-Moderator gearbeitet.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Weder war Varoufakis 'die Hoffnung' noch ist Tsipras ein 'Verräter'. Einfach nur albern! Beide hatten keine Chance gegen die EU-Regierenden in Brüssel und bei den Banken- Und 'die Linke'? Großer Widerstand dagegen gab es jedenfalls kaum. Die Medien-Hetze gegen die 'faulen Griechen' fand viele 'klammheimliche' Unterstützer. Nach dem Kotau sind Tsipras und die 'Realpolitiker' von Zyriza beliebt - siehe den schleimenden Kommentar von Siegmund Gottlieb in den Tagesthemen. Er illustriert, dass die Unterwerfung Griechenlands geglückt ist. Nur eine linke Regierung in Athen konnte dies erreichen, ND und PASOK hätten das Diktakt nie durchsetzten können. Spannende Frage: War das Tsipras und seinen 'Realisten' von Anfang an klar? Ihre Domestizierung erinnert an die 'realpolitische' Entwicklung der Grünen unter Josef Fischer. Von den Kriegsgegnern zu Kriegs-Propagandisten - war nur ein kurzer Weg. Während Josef sich heute von Daimler alimentieren lässt, bleibt Tsipras noch die Perspektive zum Schröder-Double zu werden. Hoffnung bieten nur die vielen Initiativen und Aktivitäten, die in Griechenland entstanden sind.

  • Mit Varoufakis ging die Hoffnung.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Ja, Tsipras hat alle Linken in GR verraten.

      • @Woody Guthrie:

        Es muss schon immer Verrat sein, drunter machen wir's nicht. Dass es um eine Erpressung Deutsch-Europas ging und Tsipras nur die Wahl zwischen Kotau und Bankrott ging, ist dabei dann nicht hganz so wichtig...

        Statt wie KH Dloch mit der Flagge anzudeuten, Deutschland sei ja gar nicht so souverän und eigentlich us-hörig, sollte die Flagge lieber repräsentieren, wie sehr Deutschland seine neoliberale, exportorientierte Dominanz in Europa durchsetzt. Auf Kosten der Ärmsten. http://www.dw.com/image/0,,15700945_303,00.jpg

  • Verkehrte Welt, oder? Da ist diese Regierung angetreten um alles anders zu machen und dann geht es fast genauso weiter wie zuvor, als Minderheitsregierung und nur erfolgreich durch die Unterstützung deren, die man vorher so verteufelte für ihre Kooperation mit der Troika. Manchmal fällt einem einfach nichts mehr ein. Es stellt sich nur die Frage, wie lang dieses Theater noch weitergeht?