Kommentar Tierschutzsiegel: Mehr ist nicht genug
Das neue Tierschutzsiegel reicht nicht aus. Die Reform der Agrarbranche muss weitergehen. Der Gesetzgeber muss die Mindeststandards erhöhen.
D as ist schon mal was: Das Siegel des Deutschen Tierschutzbundes garantiert ein Drittel mehr Platz für Mastschweine in der Agrarindustrie, Hühnermäster sollen nur langsam wachsende Rassen benutzen, die weniger Schmerzen entwickeln. Dagegen kann niemand etwas einwenden, dem es wichtig ist, wie die Tiere gelebt haben, die auf seinem Teller landen.
Aber es wäre fatal, wenn Tierschutzbund, die beteiligten Lebensmittelkonzerne wie Lidl und der Staat sich nun auf diesem Niveau ausruhten. Natürlich wäre es am besten, wenn die Menschen in den Industriestaaten nur noch wenig oder gar kein Fleisch äßen: für die Hungernden in Entwicklungsländern, denen Masttiere das Getreide wegfressen, für das Klima, das unter dem Treibhausgasausstoß der Viehbranche leidet – und für die Tiere. Doch bis dahin ist es noch weit, und deshalb ist es richtig, die Tierhaltung zunächst zu reformieren. Diese Reform muss aber weitergehen als das neue Siegel, denn bisher bietet es – wie sein Name schon sagt – nur „Mehr Tierschutz“, aber nicht genug Tierschutz.
Schließlich dürfen die meisten Label-Tiere auch weiterhin nicht ins Freie. Sauen bleiben ihr halbes Leben lang in nur körpergroßen Käfigen eingepfercht, weil die Ferkelerzeugung bislang nicht von den Labelregeln erfasst wird. Der Tierschutzbund muss an solchen Punkten in den nächsten Jahren Verbesserungen durchsetzen.
Doch auch vom besten Label wird wohl auf absehbare Zeit nur eine Minderheit der Tiere profitieren. Denn einen Billigmarkt für Fleisch gibt es trotzdem – und der geht auf Kosten der Tiere. Prognosen für artgerechter erzeugtes Schweinefleisch gehen auch trotz des Siegels von gerade mal 10 bis 15 Prozent Marktanteil aus. Und was ist mit den restlichen 85 bis 90 Prozent?
Daher muss der Staat eingreifen: Bundesländer, Bund oder EU sollten den gesetzlichen Mindeststandard erhöhen – auch für die Tiere von Billigproduzenten.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden