Kommentar TV-Event „Terror – Ihr Urteil“: Schuldig im Sinne des Unsinns
Was haben „Terror – Ihr Urteil“ und die anschließende Debatte bei „Hart aber Fair“ gebracht? Nichts – nur dass Gerhart Baums Puls schnell auf 180 stieg.
Deutschland hat abgestimmt! Also nur das ARD-Publikum, und von denen auch nur die, die durchgekommen sind. Aber die, die haben sich klar entschieden: Nicht schuldig! 86,9 Prozent wollten Lars Koch, den Major der Luftwaffe aus dem zuvor gezeigten Film „Terror – Ihr Urteil“, nicht bestraft sehen. Die Verfilmung basiert auf einem Theaterstück des Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach.
Kochs Geschichte: Er hat eine von Terroristen entführte Lufthansa-Maschine vom Himmel geschossen, die sonst wohl in die mit 70.000 Zuschauern vollbesetzte Allianz-Arena in München geflogen wäre. Er hat 164 Leben gegen 70.000 abgewogen. Er hat genau das getan, was das Bundesverfassungsgericht 2006 als nicht grundgesetzkonform einstufte.
Und knapp 87 Prozent der ZuschauerInnen stimmten Koch zu.
Im Endeffekt wurde am gestrigen Abend also auch über einen Verfassungsgrundsatz abgestimmt. Ja, kann man machen. Aber: Das Ganze bringt natürlich ungefähr so viel, als würden wir über die alten Gravitationsgesetze von Newton abstimmen lassen. Da können wir noch so viele 0137-Nummern anrufen, der Apfel wird trotzdem weiter von der Tischkante nach unten plumpsen.
Aber egal, das bedeutet ja nicht, dass man nicht noch ein bisschen drüber quatschen könnte: Willkommen bei „Hart aber Fair“ mit Frank Plasberg. Mit dabei: Franz-Josef Jung, ehemaliger Verteidigungsminister, Gerhart Baum, ehemaliger Innenminister, Thomas Wassmann, früherer Major der Luftwaffe, Petra Bahr, Theologin.
Jung ist der, der als Verteidigungsminister dafür sorgte, dass trotz der Verfassungsgerichtsentscheidung nur noch Piloten in den Eurofightern sitzen, die zur Not auf den Knopf drückten. Baum ist der, der einst die Klage gegen den Abschuss von Passagiermaschinen in Karlsruhe anführte und der nach dem Urteil der Zuschauer nicht enttäuscht, nein, sondern sauer auf das Publikum ist. „Die Menschen kennen das Grundgesetz nicht. Die Menschen kennen auch das Urteil nicht“, schimpft Baum.
Schimpfen auf die Politik zieht halt immer
Dagegen hat der Film aber tatsächlich etwas getan. Die Menschen kennen jetzt nicht nur Teile des Grundgesetzes und des Verfassungsgerichtsentscheids von 2006, sondern wissen auch, wie der Luftraum über Deutschland überwacht wird, wie die Ausbildung zum Kampfpiloten abläuft (Arizona, geil), und was passiert, wenn man eine Rakete ins linke Triebwerk eines Jumbojets ballert (Rakete trifft Triebwerk, Kerosin in der linken Tragfläche explodiert, dadurch löst sich die Tragfläche vom Rumpf des Flugzeugs, mit der Tragfläche reißt auch der Luftstrom ab, Maschine dreht sich auf den Rücken und stürzt ab). Alles nicht uninteressant.
Ex-Flieger Wassmann sieht die Piloten von der Politik im Stich gelassen. Die hätte sich seit 2006 nicht mehr um das Thema gekümmert. Applaus. Schimpfen auf die Politik zieht halt immer.
Bahr, künftige Bischöfin der evangelischen Kirche, redet von Opfern, und dass der Pilot und alle Anrufer nur die Wahl zwischen „falsch und falscher“ gehabt hätten.
Baums Puls ist schnell auf 180. Bevor er explodiert, noch eine Frage an Franz-Josef Jung: Würden Piloten nun im Notfall schießen? Das käme natürlich immer auf die spezifische Situation vor Ort an, sagt Jung. Es gebe ja auch so tragische Extremsituationen, weiß Theologin Bahr beizupflichen.
Ja, gibt es. Und damit sind wir wieder am Anfang.
Es ist halt nicht alles gesetzlich regelbar, aber glücklicherweise ist im Fernsehen über alles abstimmbar!
Gut, dass wir drüber geredet haben. Thema nächste Woche: Die alten Gravitationsgesetze von Newton – brauchen wir die noch?
Ach, wir haben noch 20 Minuten? Naja, wenn wir kommenden Montag gegen die Erdanziehung abstimmen, müssen wir uns eh ganz neue Fragen bezüglich der Luftfahrt stellen. Die Sitzung ist beendet.
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