Kommentar TTIP-Protest: Panisch aus gutem Grund
Gabriel im Dilemma: Als SPD-Chef kann ihm der Protest nicht egal sein. Als Minister ist er mit den Wünschen der Konzerne konfrontiert.
B ei den Freihandelsfreunden liegen die Nerven ziemlich blank, anders lässt sich ihr Agieren rund um die Großdemonstration gegen TTIP und Ceta nicht interpretieren. SPD-Chef Sigmar Gabriel belehrt die Demonstranten in großen Zeitungsanzeigen, sie sollten sich nicht „bangemachen“ lassen. Der Industrieverband BDI setzt seinen Präsidenten für ein peinliches Foto auf ein Fahrrad mit Werbung für die Freihandelsabkommen. CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer diffamiert die Demo-Veranstalter als „Empörungsindustrie“. Und konservativere Kommentatoren unterstellten den Protestierern pauschal eine rechtsextreme und antiamerikanische Gesinnung.
Genützt hat das alles nichts: Mit 150.000 bis 250.000 Demo-TeilnehmerInnen sind weit mehr Menschen auf die Straße gegangen als selbst von Optimisten erwartet. Sogar die Anti-Atom-Bewegung, die am Ende die Politik in die Knie gezwungen hat, konnte nie so viele Menschen an einem Ort mobilisieren.
Die Fans der Freihandelsabkommen haben also allen Grund, panisch zu werden. Vor allem Sigmar Gabriel steht vor einem Dilemma. Als Wirtschaftsminister ist er mit den Wünschen der Konzerne konfrontiert, die auf die Abkommen drängen, weil diese – allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – die Macht der Wirtschaft gegenüber der Politik stärken.
Als SPD-Chef hingegen können ihm die Massenproteste nicht egal sein. Viele der TTIP-Gegner stammen aus Gewerkschaften und Sozialverbänden und sind damit klassische Klientel der Sozialdemokraten. Mit dem vagen Versprechen, das Schlimmste zu verhindern, kann Gabriel diese Menschen nicht einfangen.
Die Kritiker haben nach dem Massenprotest darum Grund zum Optimismus. Denn wenn sein Machtinstinkt ihn nicht völlig verlassen hat, weiß der SPD-Chef, dass er die Unterstützung der kritischen Bevölkerung am Ende dringender braucht als die der Industrieverbände.
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