Kommentar Spaltung in der AfD: Verfrühte Freude
Vermutlich werden auch die Machtspiele den Rechtspopulisten nicht schaden. Die Distanzierung vom Antisemitismus folgt einem Kalkül.
W as für ein Schlamassel. Mit Wolfgang Gedeon verlässt der Mann, der die AfD-Fraktion in Baden-Württemberg mit seinen antisemitischen Schriften gespalten hat, jetzt die Fraktion. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen, weil Frauke Petry und Jörg Meuthen, die beiden AfD-Koparteichefs, den Streit um Gedeon für einen Machtkampf auf offener Bühne nutzen.
Erleichterung über diese Selbstdemontage wäre aber verfrüht. Die letzten Wahlen haben gezeigt, dass die Rechtspopulisten derzeit so viel Rückenwind haben, dass ihnen solche Ränkespiele und Intrigen nicht ernsthaft schaden: Sie könnten auch einen Besenstiel aufstellen und würden trotzdem in die Parlamente gewählt.
Es ist zudem kaum anzunehmen, dass es potenzielle AfD-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern interessiert, was die Partei fernab im Süden so treibt. Dort wird in zwei Monaten gewählt, und die AfD liegt in Umfragen bei 19 Prozent.
Wozu also überhaupt der Streit über den Ausschluss von Gedeon? Die AfD folgt damit dem Vorbild anderer Rechtspopulisten in Europa, die sich von offenem Antisemitismus distanzieren, nur um umso ungehemmter gegen Muslime und andere Minderheiten zu hetzen. Marine Le Pen warf sogar ihren eigenen Vater aus der Partei, um den Front National salonfähig zu machen. Damit gibt sie vor, aus der Geschichte gelernt zu haben, und schmäht nun selbst Andersdenkende mit Wonne als „Faschisten“. Eine Strategie, die sich ausgezahlt hat.
Dass offener Antisemitismus von bürgerlichen Wählern nicht goutiert wird, das weiß auch die AfD-Spitze. Frauke Petry hat Gedeons Rückzug deshalb begrüßt. Das ist aber nur ein taktisches Manöver um der Fassade willen. Und Jörg Meuthens Bekundung, er wolle, „dass die AfD eine von Antisemitismus, Rassismus und Extremismus saubere Partei“ werde, ist blanker Hohn.
Gerade ihr in der Wolle gefärbter, nur vermeintlich historisch geläuterter Rassismus macht die Rechtspopulisten von heute so gefährlich. Denn anders als klassische Rechtsextremisten sind sie in der Lage, verbreitete Ressentiments aufzugreifen, bis in bürgerliche Kreise hinein Anklang zu finden, Stimmungen zu kippen und auf lange Sicht sogar Mehrheiten zu gewinnen. Die Präsidentenwahl in Österreich und der Brexit in Großbritannien sind nur die zwei aktuellsten Beispiele dafür, dass diese Strategie aufgeht.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung