Kommentar SPD in der Flüchtlingsdebatte: Nervöse Sozialdemokraten
Die SPD ist in der Flüchtlingsfrage wankelmütig. Sie droht zwischen der Union, der AfD und den Grünen zerrieben zu werden.

E s ist ein bequemes Polster: 41,5 Prozent. Angela Merkel kann sich bei der nächsten Bundestagswahl 2017 Verluste von 5, vielleicht sogar 7 oder 8 Prozent wegen der Flüchtlingspolitik leisten. Sie bliebe wohl trotzdem Bundeskanzlerin.
Die 25,7 Prozent der SPD von der Wahl 2013 sind dagegen gefährlich. Die Sozialdemokraten scheinen zwar auf diesem Wert einbetoniert, aber das täuscht. Die Flüchtlingskrise hat das Potenzial, sie weiter Richtung oder gar unter 20 Prozent zu schieben – und ihre Wählerschaft sowohl Richtung Grüne als auch AfD. Denn ein Teil davon sympathisiert mit einer großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen, ein anderer macht sich Sorgen um soziale Fragen wie den Mindestlohn und bezahlbare Wohnungen.
Erschwerend für die Sozialdemokraten kommt hinzu, dass Merkel (“das Asylrecht kennt keine Obergrenze“) wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer Extrempositionen besetzen, die beide mit der bisherigen SPD-Politik nichts zu tun haben. Sie können die Sozialdemokraten vor sich hertreiben.
Deshalb schwankt die SPD haltlos in der Flüchtlingsfrage. Nicht, weil Sigmar Gabriel ein notorisch unzuverlässiger Charakter wäre, sondern weil ihre Wählerklientel gespalten ist – und die Sozialdemokraten, anders als die Union, sie nicht durch zwei Schwesterparteien bedienen können.
Die SPD spricht davon, dass eine Million Flüchtlinge nicht jedes Jahr händelbar seien, will sich an der Obergrenzen-Debatte aber nicht beteiligen. Und sie drängt massiv auf einen Ausbau staatlicher Hilfen für Flüchtlinge, die nicht zulasten anderer gehen sollen.
Eine Opferkonkurrenz unter den Schwachen der Gesellschaft soll um jeden Preis vermieden werden. Je höher die Flüchtlingszahlen, desto unwahrscheinlicher scheint es, dass sich die SPD damit durchsetzen kann.
Die Flüchtlingskrise ist daher auch eine Chance für die Union, die Sozialdemokraten weiter zu marginalisieren. Die SPD ist hochnervös. Zu Recht.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen