Kommentar Russland provoziert beim ESC: Lieber solidarisch singen
Die Teilnahme Russlands ist ein Dilemma für den Veranstalter des ESC, der sich als unpolitisch begreift. Wie geht man damit um?
E s ist eine klare Provokation: Russland zögert bis zur letzten Sekunde, ob es überhaupt einen Kandidaten zum Eurovision Song Contest in die Ukraine schickt, und entscheidet sich dann für Julia Samoilowa – die nicht in die Ukraine einreisen darf. Denn: Reisen auf die Krim über Russland sind seit der Annektion der Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 verboten. Samoilowa aber ist dort 2015 aufgetreten, jetzt prüft der ukrainische Geheimdienst ihre Reiseroute.
Das ist zum einen ein Dilemma für den Veranstalter ESC, der sich selbst als unpolitisch begreift. Zum anderen ist es ein politisches Dilemma, das derzeit den Diskurs zu bestimmen scheint: Wie geht man um mit Grenzüberschreitungen, Anschuldigungen, Pöbeleien? Lässt man sie ins Leere laufen, in der Hoffnung, die Erdoğans und Putins damit zu schwächen – oder muss man dagegenhalten, um in ihren Augen nicht als schwach zu gelten?
Tut die Ukraine also Putin einen Gefallen, wenn sie Samoilowa nicht einreisen lässt? Und täten die Niederlande Erdoğan einen Gefallen, wenn sie auf dessen Nazivergleiche mit verbalen Gegenschlägen reagierten?
Erst mal scheint es vernünftig, in beiden Fällen auf Deeskalation zu setzen. So schlug taz-Redakteur und ESC-Experte Jan Feddersen in der ARD vor, der Sender European Broadcasting Union solle – nach Vorbild der UN, zu deren Hauptsitz in New York auch alle reisen dürfen – freies Geleit für Samoilowa anbieten.
Aber während es zwischen Europa und der Türkei nur um verbale Provokationen geht, ist Russland mit der Annektion der Krim militärisch vorgegangen. Noch immer herrscht in der Ukraine Krieg.
Letztlich kann und muss die Ukraine entscheiden, ob sie als ESC-Gastgeberin einlenken oder einen Eklat riskieren will. Sie sollte aber mit der Solidarität der anderen europäischen Länder und des Veranstalters rechnen können. Wirklich unpolitisch kann der in diesem Fall ohnehin kaum bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit