Kommentar Rettungsschiff „Aquarius“: Europa verschanzt sich
Die EU hat Italien mit der Verantwortung für Geflüchtete alleingelassen – das glauben dort nicht nur die Rechten. Deshalb ist die Geste Spaniens wichtig.
I talien, Malta, Europa – in diesem Dreieck spielt sich der Konflikt ab, den Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini losgetreten hat. Nein, das Rettungsschiff „Aquarius“ dürfe nicht Italien ansteuern, nach Seerecht sei der „nächste sichere Hafen“ zuständig – und das sei Malta. Es liegt auf der Hand, dass Salvini, der seinen ganzen Wahlkampf mit ausländerfeindlichen Parolen bestritten hat, keine edlen Absichten verfolgt. Ihm geht es nicht darum, dass die Bootsflüchtlinge so schnell wie möglich Hilfe bekommen. Salvini war bereit, den ohnehin erschöpften 629 Geretteten einen tagelangen Aufenthalt auf dem völlig überfüllten Schiff zuzumuten.
Auch an der von ihm behaupteten Zuständigkeit des kleinen Inselstaates Maltas dürften Zweifel bestehen. Doch eines ist klar: Bloß diese beiden Staaten – Italien und Malta – kommen überhaupt als Zuständige in Frage, wann immer Menschen in der Straße von Sizilien, vor Libyen oder Tunesien, aus dem Meer gefischt werden. Das gilt immer, egal ob die Rettungsaktion durch NGOs oder durch Schiffe der EU-Missionen Frontex und Sofia erfolgt. Wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge geht, hält sich der große Rest Europas fein raus.
Schon deshalb wären die anderen europäischen Regierungen die Letzten, die jetzt das Recht hätten, im Namen der Menschenrechte Italien zu geißeln. Sie verschanzen sich hinter dem Dublin-Abkommen, mit ihnen ist über eine gemeinsame Flüchtlingspolitik nicht zu reden. Dass das Land mit dem Problem alleingelassen wird, ist nicht bloß Salvinis Auffassung, sondern nationaler Konsens in Italien.
Man kann es auch anders sagen: Die EU liefert Leuten wie Salvini mit ihrer Abschottungspolitik geradezu eine Steilvorlage. Alle machen die Grenzen dicht – warum also sollte Italien es nicht genauso halten? Salvini ist und bleibt ein Brandstifter, ein Politiker, der kräftig zündelt auf dem Feld der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Doch die Streichhölzer hat ihm der Rest der EU gegeben.
Empfohlener externer Inhalt
Umso wichtiger ist die Geste des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez, der am Montag erklärte, die „Aquarius“ könne den Hafen von Valencia anlaufen. Spanien durchbricht so die europäische Verweigerungsfront, und die noble Geste hilft in diesem Einzelfall. Doch auch sie löst nicht das zugrundeliegende Problem: Die EU muss damit aufhören, die Straße von Sizilien bloß als Italiens Grenze statt als Grenze Europas zu betrachten, und sie muss endlich damit anfangen, daraus die Schlüsse zu ziehen – für eine europäische Flüchtlingspolitik, die diesen Namen verdient.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens