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Kommentar Rettungsschiff „Aquarius“Europa verschanzt sich

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Die EU hat Italien mit der Verantwortung für Geflüchtete alleingelassen – das glauben dort nicht nur die Rechten. Deshalb ist die Geste Spaniens wichtig.

Alle machen die Grenzen dicht – warum also sollte Italien es nicht genauso halten? Foto: reuters

I talien, Malta, Europa – in diesem Dreieck spielt sich der Konflikt ab, den Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini losgetreten hat. Nein, das Rettungsschiff „Aquarius“ dürfe nicht Italien ansteuern, nach Seerecht sei der „nächste sichere Hafen“ zuständig – und das sei Malta. Es liegt auf der Hand, dass Salvini, der seinen ganzen Wahlkampf mit ausländerfeindlichen Parolen bestritten hat, keine edlen Absichten verfolgt. Ihm geht es nicht darum, dass die Bootsflüchtlinge so schnell wie möglich Hilfe bekommen. Salvini war bereit, den ohnehin erschöpften 629 Geretteten einen tagelangen Aufenthalt auf dem völlig überfüllten Schiff zuzumuten.

Auch an der von ihm behaupteten Zuständigkeit des kleinen Inselstaates Maltas dürften Zweifel bestehen. Doch eines ist klar: Bloß diese beiden Staaten – Italien und Malta – kommen überhaupt als Zuständige in Frage, wann immer Menschen in der Straße von Sizilien, vor Libyen oder Tunesien, aus dem Meer gefischt werden. Das gilt immer, egal ob die Rettungsaktion durch NGOs oder durch Schiffe der EU-Missionen Frontex und Sofia erfolgt. Wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge geht, hält sich der große Rest Europas fein raus.

Schon deshalb wären die anderen europäischen Regierungen die Letzten, die jetzt das Recht hätten, im Namen der Menschenrechte Italien zu geißeln. Sie verschanzen sich hinter dem Dublin-Abkommen, mit ihnen ist über eine gemeinsame Flüchtlingspolitik nicht zu reden. Dass das Land mit dem Problem alleingelassen wird, ist nicht bloß Salvinis Auffassung, sondern nationaler Konsens in Italien.

Man kann es auch anders sagen: Die EU liefert Leuten wie Salvini mit ihrer Abschottungspolitik geradezu eine Steilvorlage. Alle machen die Grenzen dicht – warum also sollte Italien es nicht genauso halten? Salvini ist und bleibt ein Brandstifter, ein Politiker, der kräftig zündelt auf dem Feld der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Doch die Streichhölzer hat ihm der Rest der EU gegeben.

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Umso wichtiger ist die Geste des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez, der am Montag erklärte, die „Aquarius“ könne den Hafen von Valencia anlaufen. Spanien durchbricht so die europäische Verweigerungsfront, und die noble Geste hilft in diesem Einzelfall. Doch auch sie löst nicht das zugrundeliegende Problem: Die EU muss damit aufhören, die Straße von Sizilien bloß als Italiens Grenze statt als Grenze Europas zu betrachten, und sie muss endlich damit anfangen, daraus die Schlüsse zu ziehen – für eine europäische Flüchtlingspolitik, die diesen Namen verdient.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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20 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 9G
    96551 (Profil gelöscht)

    schon skurril - da bejubelt der Autor Spaniens "Geste" - dabei verfolgt Spanien mit den bewehrten Zäunen in Ceuta und andernorts die wohl rigideste Abschottungspolitik überhaupt in Europa.

    Wir sollten aufhören, Gesten überzubewerten.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @96551 (Profil gelöscht):

      Das stimmt, aber die Menschen, die nach Mellila und Ceuta wollen, sind nicht in Seenot. Was würde passieren, wenn Spanien die Grenze aufmachen würde?

      Bisher hat nur Spanien positiv reagiert, um Menschen in akuter Not zu retten. Korsikas Regionalregierung hat sich ebenfalls bereit erklärt, die Schiffsbrüchigen aufzunehmen, aber braucht dafür das Einverständnis von Paris, das auch für die korsische Aussenpoltitik zuständig ist. Der " Flüchtlingsretter" Macron hält sich sehr bedeckt, aus poltitischer Feigheit. Denn seit bekannt ist, dass Spanien die Flüchtlinge zufnehmen will, findet in den französischen Foren ein Shitstorm gegen den Sozialisten Sanchez statt. Für die meisten Franzosen ist klar, dass die Schiffsbrüchigen nur eins im Sinn haben über die Pyrenäen zu machen. Heute Morgen hat Macrons Ministerin für Soziales auf dem öffentlichen Sender France Inter rumgeeiert, den Mut der spanischen Regierung gelobt und auf die Frage des Journalisten, warum Paris nichts tue, schliesslich habe Frankreich auch Mittelmeerhäfen, die geografisch dichter an der Zone liegen, geantwort, dass Frankreich schon seinen Beitrag für die Hilfe der Flüchtlinge leiste und gleichzeitig zugegeben, dass die Aufnahme von Flüchtlingen politische Konsequenzen haben kann, der Prädident Macron aber nicht unsensibel für solche Dramen sei. Mehr Verlogenheit geht nicht mehr!

      Quelle ( France Inter 7/9 Léa Salamé et Nicolas Demeurant)

    • @96551 (Profil gelöscht):

      Die ceutanische Abschottung ist aber bereits min. seit ca. dreißig Jahren in Betrieb. Insofern, bezogen auf den aktuellen Fall eher nicht sooo relevant.

       

      Das schöne an diesem langjährigen Migration/Flucht/Asyl-Eiertanz ist ja, das er immer immer immer wieder im Kreis geht. https://www.proasyl.de/news/10-jahre-cap-anamur-schaem-dich-europa/

       

      So gesehen, Gesten hin oder her, stimme ich dem Herrn Autoren zu: Einer substanziellen Lösung kommt man nicht näher.

       

      Mir scheint auch in den letzten Jahren: An einer substanziellen Lösung ist auch keine Sau interessiert. Globalisierung und so finden irgendwie alle ein bisschen toll aber auch ein bisschen suspekt, aber so in wirklich will sich eigentlich niemand damit auseinandersetzen und Hauptsache 'Deutschland geht es gut, das ist ein Grund zur Freude'. Ansonsten sollen bitte alle bleiben, wo sie herkommen und sich bitte dort wahlweise massakrieren, bombardieren, ausbeuten oder vergiften lassen...

  • "Alle machen die Grenzen dicht" - das stimmt nicht. Wer in Deutschland Asyl beantragt, wird aufgenommen - auch wenn er/sie illegal einreist, woanders bereits Asyl erhalten hat oder seine wahre Herknft verschweigt.

    • @Hartwig Lein:

      Genau so... Und bekommt von Merkel persönlich morgens einen Kaffee ans Bett gebracht (was der einzige Grund ist, warum alle Flüchtenden auf dieser Welt nach Deutschland wollen).

  • Hmm? Zufolge AIS kreuzt die M/S "Aquarius" z.Zt. (01.00 diestag) im Zigzag herum , etwas Nordost von Malta.. Was ist los so? Wenn " vessel Aquarius" ins net gegeben wird, erscheint die exakte geographische Position des Schiffes, als `research vessel´(ex- BRD Küstenwache M/S "Meerkatze" .. Niks mit Kurs auf Valencia bisher! Haben die Probleme?

  • Das die EU und die Mitgliedsstaaten Italien seit Jahren Italien im Regen stehen lassen mit der Maghreb Route ist ja kein Gefühl sondern ein Fakt.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Spanien hat als erstes dicht gemacht mit Ceuta und Mellila.

      Jezt toben sich die französischen Wutbürger in den Foren aus, denn für die ist klar, dass die Menschen auf der Aquarius alle über die Pyrenäen nach Frankreich rübermachen wollen. Allerdings hätte Frankreich die auch gleich aufnehmen können. Stattdessen bedauert man schon sehr lautstark den Abgang von Rajoy.

      Unwahr ist das Alles nicht. Ich bin öfters in Valencia und die afrikanischen Parkplatzeinweiser träumen alle von Paris, obwohl Sie wissen, wie hart das für sie wird.

    • @Sven Günther:

      So wie Griechenland und im Prinzip wurde ja auch Deutschland im Regen stehen gelassen. Nur, wer soll 'die EU' sein? 'Die EU' ist doch nur ein Sammelsurium egozentrischer Nationalstaten mit zunehmend populistischen Regierungen. Damit sich was verändert, muss es anscheinend erst richtig knallen. Wenn das mal nicht schief geht.

      • @JoWall:

        Die EU ist doch eine Wertegemeinschaft...

        ;)

      • @JoWall:

        Ein erster Schritt wäre, dass die Kosten für die Unterbringung aus dem EU-Budget finanziert werden. Dann wären die Verweigerungsländer aus Osteuropa, Großbritannien, usw. zumindest finanziell beteiligt. Ein zweiter Schritt wäre ein EU-weites Beschäftigungsprogramm für Flüchtlinge, davon könnte va. Italien profitieren, das ein riesiges Problem mit arbeitslosen Afrikanern hat.

  • Erkannt

     

    Was soll Europa denn bitte machen?

    Alle Migrationswilligen herzlich einladen?

    Das geht nun mal nicht. Wie auch der grüne Spitzenmpolitiker B. Palmer in seinem Bestseller "Wir können nicht allen helfen" bereits erkannte und darlegte. Das mag jetzt alles bedauerlich sein, ist aber so.

    • @Hartz:

      Tja... Allen helfen? Welt retten?

       

      Hat das irgendwann irgendjemand vorgehabt? Oder auf die Agenda geschrieben?

       

      Was soll Europa denn machen?

      Zur 'Verteidigung' der Außengrenzen Schlauchboote innerhalb der 12-Meilen-Zone versenken?

      Auch uncool irgendwie...

       

      Ich finde das Rechenexempel, dass, kämen sämtliche 60 Mio. Flüchtlinge weltweit (mal in einem kurzen Gedankenmodell) nach Deutschland, wäre die Bevölkerungsdichte pro QKM immer noch niedriger als sie aktuell in den Niederlanden ist.

      Amsterdam ist immer brechend voll, keine Frage, aber dass sich da alle auf den Füßen rumstehen, ist dort ja nun auch nicht das drängenste Problem...

      Es ist ein Gedankenspiel, bitte nicht ernsthaft drauf eingehen, danke...

      ;)

      Aber egal... Was soll Europa schon machen...

      • @Sebas.tian:

        Wo sind dann die Arbeitsplätze für die 60 Mio. zusätzlichen Leute in Deutschland?...

        usw- usf.

        • @Hartz:

          Es ist eine Gedankenspiel...

           

          Noch mal langsam: »Es ist ein Gedankenspiel, bitte nicht ernsthaft drauf eingehen, danke«

           

          Aber so ist das mit den Triggern... Die triggern so vor sich hin...

          ;)

           

          Schön weitermachen.

  • Das internationale Seerecht ist kein originares EU-Recht. Es muss der nächste sichere Hafen angelaufen werden. Das sind nunmahl entweder Malta oder Italien.

     

    Eine Flüchtlingspolitik fällt nicht in die Kompetenzen der EU. Da wir die innereuropäischen Grenzen beseitigen wollten, müssen die Außengrenzen von den jeweiligen Ländern geschützt werden. Eine "europäische Flüchtlingspolitik" bedeutet daher nichts anderes als eine Stärkung der Außengrenzen verbunden mit einer besseren Zusammenarbeit mit libyschen Seenotrettern und Streitkräften. Denkbare Alternative wäre die Revision der Schengenregeln und Wiedereinführung der innereuröpäischen Grenzen. Alles andere ist Utopie.

    • @DiMa:

      »von den jeweiligen Ländern geschützt werden.«

       

      Warum sollte das so sein müssen?

      • @Sebas.tian:

        Entsprechende Vorschriften sehen die Schengenregelungen vor (siehe https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/e-library/docs/schengen_brochure/schengen_brochure_dr3111126_de.pdf).

         

        Diese sind notwendig um einen unbegrenzte Zuwanderung zu verhindern. Wie gesagt, wir können gerne auch wieder innereuropäische Grenzen einführen.

        • @DiMa:

          Und wofür ist dann ein Laden wie Frontex da? Man kann ja, steile These ich weiß, Schutz von Außengrenzen als gemeinschaftliche Aufgabe aller begreifen.

          So wie die Aufnahme und Verteilung Geflüchteter ja auch eine Aufgabe aller sein könnte.

           

          So ähnlich wie der Empfang von Agrarsubventionen... Da machen ja auch alle mit...

          ;)

          • @Sebas.tian:

            Frontex ist reflexhaft ausgeweitet worden und ist lediglich so eine Art Trostpflaster. Ein Feigenblatt mit welchem betroffenen Ländern Unterstützung vorgegaukelt wird. Ungeachtet dessen gilt der Grundsatz, dass für den Schutz der Außengrenzen die jeweiligen Länder zuständig sind.

             

            Gleiches gilt grundsätzlich auch weiterhin für die Aufnahme von Geflüchteten.