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Kommentar Referendum in SchottlandAugen auf und durch

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Jetzt rächt sich, was das Londoner Establishment lange nicht wahrnehmen wollte. Es wird Zeit, dass die Unionisten nicht mehr nur schweigen.

Die Unionisten haben die Kiltträger im Norden zu lange nicht ernst genommen. Bild: dpa

E s wird ernst. Zum ersten Mal hat am Wochenende eine Meinungsumfrage in Schottland eine Mehrheit für die Unabhängigkeit prognostiziert, über die der britische Teilstaat am 18. September abstimmt. Jetzt plötzlich wacht die britische Politik auf: „Zehn Tage, um die Union zu retten“, titeln in seltener Einträchtigkeit Zeitungen von rechts und links, und Spitzenpolitiker ziehen hektisch in letzter Minute einen Blitzwahlkampf auf, um die Abspaltung Schottlands von Großbritannien doch noch zu verhindern.

Jetzt rächt sich, wovor klügere Beobachter seit Langem gewarnt haben: Die Ignoranz des Londoner Establishments gegenüber dem, was sich im hohen Norden möglicherweise zusammenbraut. Während Alex Salmond, der von der „Schottischen Nationalpartei“ (SNP) gestellte Premierminister der schottischen Regionalregierung, seit Langem unermüdlich sein Volk auf die Sezession und die Wiedergeburt der schottischen Nation einschwört, verfuhr die Gegenseite lange Zeit nach dem Motto: Je weniger wir sagen, desto besser, sonst verleihen wir den Unabhängigkeitsbefürwortern nur die Glaubwürdigkeit, die sie von sich aus nicht haben.

Das war ein strategischer Fehler, ebenso der Verlass auf den mahnenden Zeigefinger als wichtigstes Wahlkampfinstrument. Denn damit überlassen die Unionsbefürworter den Nationalisten die Lufthoheit über den Stammtischen. Nun muss in Windeseile ein Strategiewechsel her, der die positiven Aspekte eines Fortbestands Großbritanniens hervorhebt und nicht mehr nur die negativen Aspekte einer Abspaltung Schottlands anmahnt.

Immer noch spricht viel mehr dagegen als dafür, dass sich eine Mehrheit der Schotten für eine Sezession entscheiden wird. Und eine einzige Umfrage gegen Hunderte gegenteilige ist noch keine Trendwende. Aber das Klima hat sich gedreht. Die Unionsbefürworter müssen ihre Politik des „Augen zu und durch“ aufgeben. Das belebt die politische Debatte, und das ist gut so.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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10 Kommentare

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  • In der EU laufen viel zu viele politische Versager herum, die von ihrem Wir sind Europa über alles Trip nicht herunter kommen. Das Schottland Beispiel wird Schule machen. Ehrlich gesagt, wer will schon von politischen Versagern kaputt regiert werden.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Picard:

      Deshalb ist auch nicht die EU als loser wirtschaftsverband die Zukunft eines vereinten Europas sondern eine europäische Konföderation.

  • "Für vereintes Europa in Form einer Konföderation ist es unabdingbar dass sich Schottland und auch Wales aus der britisch-englischen Vormundschaft befreit, ebenso wie ein wiedervereintes Irland."

     

    Ich könnte mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, wenn aus Großbritannien Kleinbritannien wird. Aber warum es eine "zwingende Logik des europäischen Einigungsprozesses" sein soll, dass die großen Staaten in ihre Bestandteile zerfallen sollen, erschießt sich mir nicht. Im Gegenteil. Die treibende Kraft solcher Abspaltungen sind Nationalisten verschiedener Färbungen, die dem europäischen Einigungsprozess eher skeptisch gegenüber stehen. Wäre es übrigens unabdingbar für Europa, dass Deutschland in seine Bundesländer zerfällt? Und was passiert, wenn die Franken nicht in einem unabhängigen Bayern leben wollen? Und die Badener nicht in ein einem schwäbisch dominierten Südweststaat?

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ein vereintes Europa kann nur ein Europa der freien Völker und Nationen sein, dass sich in einer Konföderation zusammenschließt.

       

      Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, wenn Sie einen Vergleich zwischen Großbritannien mit Deutschland vergleichen. Großbritannien ist ein Reich das durch englische Eroberungen entstand und Schotten und Waliser sowie Iren sind ein eigenständiges Volk. Bayern, Schwaben und Franken jedoch sind alles Deutsche die sich freiwillig in einer Republik zusammen gefunden haben. Aber dem Prinzip eines vereinten Europas der Nationen stehen weitgehende Autonomierechte einzelner Regionen nicht im Wege.

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Für vereintes Europa in Form einer Konföderation ist es unabdingbar dass sich Schottland und auch Wales aus der britisch-englischen Vormundschaft befreit, ebenso wie ein wiedervereintes Irland. Daher ist das schottische Streben nach Unabhängigkeit eine zwingende Logik des europäischen Einigungsprozesses.

    • @4845 (Profil gelöscht):

      Eine wirklich gute Bemerkung, ich pflichte Ihnen absolut bei. Und so würde zumindest Schottland in der Europäischen Union verbleiben. Während es nicht unwahrscheinlich erscheint, daß England sich aus nationalistisch-konservativen Gründen mittelfristig aus der EU verabschieden wird, verursacht durch dümmlichste Tory-Politik.

      • @jan messerschmidr:

        welche Rechtsgrundlage sollte es für den Verbleib eines neu- konstituierten Staates in einer EU geben, deren Verträge in diesem Staat (logisch) nicht ratifiziert sein können?

        Schottland müsste eine EU- Mitgliedschaft erst einmal beantragen, als Automatismus läuft das nicht.

        • 4G
          4845 (Profil gelöscht)
          @Ingo Scherlinski:

          Ich spreche auch nicht von der EU sondern einem vereinten Europa in Form einer Konföderation.

        • @Ingo Scherlinski:

          "Schottland müsste eine EU- Mitgliedschaft erst einmal beantragen, als Automatismus läuft das nicht." Und? Davon ist auszugehen.