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Kommentar Rechtsverständnis der PolizeiInnensenator Grote muss durchgreifen

Kommentar von Kai von Appen

Staatliche Stellen haben nicht wie angeklagte Bürger das Recht zu lügen. Der Innensenator muss nachhaltig dafür sorgen, dass sich die Polizei an das Gesetz hält.

Von der Polizei unterwandert: FSK auf Sendung. Foto: Patrick Seeger/dpa

I m Strafrecht gibt es den Grundsatz: Jeder Beschuldigte hat das Recht zu schweigen und die Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst belasten. Die Strafprozessordnung gewährt einem Angeklagten sogar das Recht zu lügen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Daher scheint es oberflächlich betrachtet legitim zu sein, dass die Hamburger Polizei vor dem Verwaltungsgericht rundweg bestreitet, falsch gehandelt zu haben. Im Verfahren wegen Verstoßes gegen die Rundfunkfreiheit leugnet sie auch bereits belegte Rechtsverstöße und Grundrechtseingriffe.

Dieses Verhalten ist aber nur scheinbar akzeptabel: Denn das Verwaltungsrecht ist kein Strafrecht, sondern Staatsrecht, in dem die Spielregeln im Umgang des Machtapparates mit den Bürgern festgelegt sind. Und auf der Anklagebank sitzt nicht die heutige 43-jährige Staatsschützerin Iris P., die zwecks Infiltration während der „Operation Iris Schneider“ damals die Kontrolle verloren und ihre vermeintlichen neuen FreundInnen mit Lügen, Täuschung und Hinterlist hintergangen hat.

Hier steht die Staatsgewalt in Form des Staatsschutzes vor Gericht, der alles verantwortlich betrieben hat. Wenn dieser Staatsschutz von der Unschuldsvermutung durch Lügen wider besseren Wissens profitieren möchte, kommt das einer Rechtsbeugung gleich.

Die Frage ist, ob es der neue Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) ernst meinte, als er der taz im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungen sagte: „Nicht alles, was in der Vergangenheit geschah, ist geeignet, fortgesetzt zu werden.“ Falls ja, dann muss er jetzt Charakter zeigen.

Er muss die Polizeiführung dazu verdonnern, die sechsjährige Geheimdienst-Operation „Iris Schneider“ mit einer Erklärung als rechtswidrig zu bezeichnen und sich öffentlich für den Eingriff in die Rundfunkfreiheit zu entschuldigen. Und Grote muss die Ewiggestrigen aus dem Polizeidienst entfernen.

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Hamburg-Redakteur
Jahrgang 1956, Seit 1983 bei der taz – zuerst bei der taz.hamburg und jetzt bei der taz.nord in Hamburg. Ressorts: Polizei, Justiz, Betrieb und Gewerkschaft. Schwerpunkte: Repression, progressive Bewegungen und Widerstand gegen Gentrifizierung
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5 Kommentare

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  • Ich möchte mich an dieser Stelle mal über das im Titel verwendete Wort " Durchgreifen" auslassen. Was heißt denn das - Durchgreifen.? - nach etwas greifen und dadurch Grenzen durchbrechen...ist das jetzt das gleiche wie ein Übergriff..?

    Ich kann nur sagen, mich schaudert bei dem Wort.. Ich vermute sogar das ist ein Überbleibsel aus Nazizeiten. Deshalb wundert es mich, das es immer wieder auch von seriösen Journalisten verwendet wird... Bitte mal alle überprüfen ob dieses Wort nicht durch eine bessere Formulierung zu ersetzen wäre...

  • Also, ich kaufe Grote diese Ansage nicht ab, weil der Staat insgesamt die Bedrohung von Links ganz dringend braucht und diesem Zweck sind diese Infiltrationen doch untergeordnet. Diese Personen horchen grundlos in eine Szene rein, die seit Jahren kein echtes Ding gedreht hat. Selbst bei den Demos könnte es sein, dass der Staat dort für knuffige Zusammenkünfte sorgt, weniger die Szene. Aber auf einer Demo aneinanderzugeraten, ist noch was anderes, als ne Bombe zu zünden, jemanden niederzuschießen oder eine Person zu entführen. Ich glaube, der Staat wird auch in Zukunft versuchen, sich selber Feinde und Feindschaft zu schaffen, damit die Haushaltsmittel stimmen und man auf solche Methoden, eben nicht auf Dialog setzt. Das Gefahrengebiet zeigt doch, wie paranoid und fehlgeleitet die staatliche Seite ist. Dazu noch die eingebildeten Angriffe auf die Polizei und ein verdrehtes Rechtsverständnis im Sicherheitsapparat.

  • ;)) - sorry - zu viel Jerry Cotton gelesen?

  • Was sollte sich wohl ändern, selbst bei allem guten Willen? Wir haben eine desolate in sich zerstrittene Politik ebenso wie eine gleichermaßen in Gesinnungsfronten zersplittete Polizei, und die Fronten sind dramatisch verhärtet, obwohl man sich bemüht, genau dies nach außen hin nicht durchblicken zu lassen. Geht man gegen die einen vor, dann sind es die anderen, die daraus ihre eigene Position auf eine Weise stärken, die ebenso daneben liegt.

    Die gegebenen Möglichkeiten für unlautere Aktionen sind unüberschaubar und längst nicht mehr kontrollierbar. Wie soll sich die Polizei also verhalten? Die Methoden von ehemals sind ungeeignet zur Bekämpfung "moderner" Hetze und Zersetzung, und angepaßte Methoden sind unmoralisch oder verfassungswidrig. Dazu kommt der Ritt auf dem Rasiermesser: Dient die Polizei der Regierung, dann wird dies zum NoGo, denn die Regierung wird zunehmend zum Gegner des Volkes. Dient die Polizei dem Volk, dann wird es noch schlimmer, weil dann (stets nur teilweise) Volksvertreter, Parteien usw. direkt bedroht sind und kurz darauf innerhalb der Polizei "umstrukturiert" wird.

     

    Das Dilemma ist deshalb nicht Fehlverhalten hier und da, sondern die allgemeine Orientierungslosigkeit des Systems, geboren aus Habgier, Geltungssucht, Günstlingswirtschaft, juristischen Spitzfindigkeiten, Sozialabbau u. a., und was wir gegenwärtig zunehmend erleben, das sind die zwangsläufigen Folgen.