Kommentar Räumung Oranienplatz: Teile und herrsche

Das Symbol ist weg, doch die Flüchtlinge haben viel erreicht. Der Staat ist unter Druck, Residenzpflicht und Lagerzwang sind kaum mehr zu halten.

Sie haben ihre Stimmen erhoben, die Flüchtlinge am Oranienplatz Bild: dpa

So bitter die Räumung des Oranienplatzes für viele der Bewohner sein mag: Gescheitert sind die Flüchtlingsproteste keineswegs – auch wenn mit dem Camp am Ende das wichtigste Symbol aufgegeben werden musste.

Ginge es allein nach der CDU und den konservativen Medien, wäre von dem Protestcamp schon längst nichts mehr übrig gewesen. Doch eine Räumung durch die Polizei erschien dem Senat lange nicht opportun. Deswegen zog er es vor, die einzelnen Fraktionen der Flüchtlinge so gegeneinander auszuspielen, dass die einen den anderen am Ende die Zelte über dem Kopf eingerissen haben.

Man kann dies aus guten Gründen für eine perfide Strategie halten. Es zeigt aber, wie viel Sympathie und politischen Zuspruch die Flüchtlinge sich erkämpft haben. Seit sie vor gut zwei Jahren ihre Proteste begannen, gab es mehr Aufmerksamkeit für ihre Forderungen als je zuvor. Und dass ihre Anliegen legitim sind, ist heute in vielen Kreisen Konsens, die vor Kurzem noch nie von Residenzpflicht oder Lagerzwang gehört haben.

Doch das ist nicht das einzige, was die Flüchtlinge erkämpft haben. Eine Reihe von asylpolitischen Reformen sind angekündigt oder schon auf dem Weg. Aus bloßer Gutmütigkeit hätte der Staat sicher keine solchen Zugeständnisse gemacht. Die Residenzpflicht ist wohl nicht mehr lange zu halten. Eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete soll kommen, Bayern will keine Essenspakete mehr ausgeben. Und die Proteste der „Lampedusas“ in Hamburg und Berlin haben die „Dublin“-Regelungen erneut in den Fokus gerückt: Die dauerhafte, öffentliche Präsenz der aus Italien Weitergeflüchteten in den beiden wichtigsten deutschen Metropolen haben gezeigt, wie dringend das europäische System der Flüchtlingsverteilung reformiert gehört.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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