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Kommentar Proteste in der TürkeiErdogans gefährliches Pflaster

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Mitten in den Unruhen schafft es die AKP eine perfekte Jubelorgie für Erdogan zu veranstalten. Der Premier wettert gegen ausländische Medien. An Deeskalation hat er kein Interesse.

Die ausländischen Medien verbreiten ein völlig falsches Bild von der Türkei, meint jedenfalls Herr Erdogan Bild: ap

S chon vor seiner Großkundgebung am Sonntagabend in Istanbul, hatten der Regierungspartei nahestehende Medien angekündigt: Erdogan werde enthüllen, wer hinter der Revolte der letzten drei Wochen steckt.

Erdogan hielt Wort und enthüllte: Es sind die ausländischen Medien, namentlich CNN, BBC und Reuters, die die Proteste anstacheln würden und ein völlig falsches Bild von der Türkei verbreiten würden. Das richtige Bild sei hier, auf dem Platz in einem Vorort der Stadt, wo rund 300.000 Erdogan-Anhänger das Konterfei des Ministerpräsidenten schwenkten und ihm zujubelten.

Tatsächlich muss man als ausländisches Medium neidlos anerkennen, dass die Parteiorganisation der AKP perfekt ist. Wo andere Leute in der Megametropole Istanbul am Sonntag die allergrößten Schwierigkeiten haben, von einem Stadtteil in einen anderen zu kommen, weil viele Fähren, Straßenbahnen und Busse nicht fahren und Brücken teilweise gesperrt sind, stehen für Erdogans Anhänger überall Busse und Schiffe bereit, die die Massen zum Versammlungsort karren.

taz

ist Türkei-Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Istanbul.

Wo andernorts jede Versammlung von mehr als zehn Menschen überall in der Stadt von der Polizei angegriffen wird, können in Zeytinburnu, wo Erdogans Versammlung stattfindet, Hunderttausende einen komfortablen Abend genießen, Verpflegung inclusive.

Zwei Stunden lang heizt Erdogan die Menge an, redet von Terroristen und ausländischen Medien, die die Terroristen unterstützen. Am Ende hat er zu mindestens eins erreicht: Knüppelschwingende AKP Anhänger machen sich am späteren Abend unter Allah-u-Akbar-Rufen selbst auf den Weg, um „Terroristen“ zu jagen. Das Hauptquartier der oppositionellen CHP in Istanbul wird von ihnen angegriffen, dann suchen sie weitere Demonstranten.

Über Twitter wird die Aufforderung an die Demonstraten verbreitet, nach Hause zu gehen. Auf den Straßen sei es zu gefährlich.

Erdogan ist drauf und dran dafür zu sorgen, dass es immer gefährlicher wird.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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11 Kommentare

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  • S
    Serra

    Ich verstehe die medien in Deutschland nicht was ERDOGAN für dieTürkei gemacht hat brauche ich nicht aufzählen wir lieben ihn wir sind traurig das so schlecht dargestellt wird so wie viele Medien in Türkei berichten möchten viele Länder nicht dass die Türkei mächtig wird .Diese fallen hat Erdogan durschaut und viele Türken wissen das auch.Türkei ist nicht mehr das was es war dank Erdogan.Es gibt in Türkei projekte davon könnten viele europäische Länder nicht träumen alles dank Edogan.Das wissen auch viele in Europa.Welcher minister in in Europa bis jetzt ich bin euer diener.Erdogan sagt das aber seinem Volk.Und ausserdem waren 1300.000 anhänger von Erdogan da Mensche die ihn lieben natürlich gibt es millionen Menschen in Türkei die ihn lieben.

  • SI
    so ist er halt

    Das er solche Veranstaltungen organisieren kann liegt das evt. an facebook, soll es ja in der Türkei auch längst geben.

    Da es ja wohl immer noch viele da drüben gibt, die nach der Steinzeit leben wollen, kommen die sofort angelaufen um ihrer "Führer" wie ihn manche nennen zu bejubeln. Jeder das was er braucht, oder wie man auch sagt wie er es verdient. Das kann man drehen wie man will.

     

    Türe zu die nächsten 20 Jahre für die Türkei in die EU

  • AO
    Aleksandr Orlov

    Wenn ich die Berichte sehe, fallen mir doch gleich Dinge ein wie "Wyhl", "Schlacht um Brokdorf", "Startbahn West", "Wackersdorf", "Stuttgart 21" und "Blockupy vor der EZB".

    Und der Spruch mit dem Glashaus und den Steinen...

    Ist Erdogan vielleicht der neue Mappus?

     

    Was mich wirklich wundert, ist das fehlende Aufzeigen der Parallelen zwischen dem brutalen Vorgehen der Staatsmacht dort und hier. Boris Rhein und Stefan Mappus lassen grüßen!

  • T
    Tigerpfadi

    Erdogan ist ein böser und hilfloser Landesvater, dem nichts Besseres einfällt, als seine "Kinder" zu prügeln, wenn sie ihm nicht zu Willen sind.

    Er war von Anfang an außerstande der Situation politisch zu begegnen. Keinerlei diplomatisches Feingefühl, keinerlei Kritikbereitschaft, Verachtung für die Demonstrierenden.

    Freunde aus Istanbul haben mir gestern geschrieben, jedem, der bereit war Erdogan zu unterstützen habe 100 TL und einen Beutel Nudeln erhalten...

  • E
    eksom

    Erdogan ist und bleibt ein religiöser Faschist mit der Maske eines Scheindemokraten! Und was macht die westliche Wertegemeinschaft? Schaut nur noch zu und bekundet Beschichtigungsfloskeln. Wirtschaftliche Interessen gehen eben vor (wie schon auch in China und Russland)! Ihr (der Westen) seit ja alle Heuchler.

  • J
    JKInc

    Ein brüllender Schnurrbartträger vor wehenden Fahnen und gefülltem Stadion. Parteianhänger, die mit Knüppeln

    Oppositionelle verprügeln.

     

    Muss Erdogan jetzt eigentlich GEMA-Gebühren oder so zahlen?

  • RB
    Rainer B.

    Erdogan der Selbstdarsteller. Personenkult war schon immer ein untrügliches Zeichen für Diktaturen.

  • M
    mete

    Erdogan hat recht, cnn hat von seiner Kundgebung nur 9 Sekunden berichtet, während von Gezipark Stundenlang live berichtet wurde. Die Desinformation läuft weiter, selbst die Kundgebung von Erdogan wird auf der Internetseite von CNN als Demo gegen ihn dargestellt. CNN & Co. haben ihre eigene Agenda für die türkische Regierung. Auffalnd ist dass das genau zu dem Zeitpunkt geschiet, wo die Zinsen in der Türkei auf ihrem tiefsten Stand ist.

  • SG
    Schmidt Georg

    seit Tagen wird über die Türkei und Syrien berichtet-dass dabei der Aufstand am 17.Juni 1953 in Berlin in den Medien untern Tisch fällt, stimmt mich traurig, naja, es waren nur Arbeiter, die sich gegen die Terrorregierung erhoben haben, auch der Ungarnaufstand ist long-long-time-a-go ! Schade, dass man diese Ereignisse vergessen hat-ähneln sie doch den jetzigen ziemlich genau, schade, schade !

  • HM
    Heidrun Müller

    Was mir zu diesem Wort spontan einfällt -> "Zivilcourage": Eier in der Hose, Mut, Mitgefühl, Position beziehen, Widerstand, Solidarität, Über den eigenen Tellerrand schauen und gehen, Herz in der Hand, Gesunder Egoismus, Gerechtigkeitsgefühl, Es gibt nur einen Grund etwas zu verändern: Du hältst es einfach nicht mehr aus, Eigenverantwortung, Liebe, Sich einsetzen, Verweigerung, Selbst Denken, Aufklären, Das Leben in die eigenen Hände nehmen, Im Regen tanzen, Sich wehren, Zu den eigenen Überzeugungen stehen, Standhalten, Gehorsam verweigern, Nein Sagen, Ja Sagen, Aufstehen wo andere sitzen bleiben, Reden, schreiben wo andere schweigen, Nicht weg sehen, Dableiben wo andere weglaufen, Hand reichen, Eigene Entscheidungen treffen, Visionen, Konsequenzen selbstbewusst in Kauf nehmen, Freude und Lachen, Sich seiner selbst bewusst sein, Sich nicht entmutigen lassen ...und ... und ?? ... Oh, der Mut ... ja, dazu gehört wohl vor allem Mut.

  • Z
    zombie1969

    Die wirtschaftlich wie gesellschaftlich zurückgebliebene TR scheint nun endgültig an inneren Konflikten zu zerbrechen.

    Da werden noch nicht mal mehr die von Türken in der EU bezogenen und in die TR überwiesenen Sozialleistungen einen Halt erreichen.

    Game over!