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Kommentar Pressefreiheit in der TürkeiFeindliche Übernahme

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Das Ziel des türkischen Präsidenten ist offensichtlich. In der Türkei soll nur noch das Loblied Erdoğans gesungen werden.

Das Redaktionshaus in Istanbul am Sonntag. Die Polizei errichtet einen Sicherheitszaun. Foto: reuters

M it der staatlichen Übernahme von Zaman wird das Feld der öffentlichen Kritiker des Regimes von Präsident Erdoğan erneut erheblich ausgedünnt. Und es ist schon jetzt absehbar, dass es dabei nicht bleiben wird.

Der nächste Übernahmekandidat ist die linksliberale überregionale Tageszeitung Cumhuriyet, deren Chefredakteur und Hauptstadtkorrespondent lebenslang ins Gefängnis sollen. Danach bleiben nur noch einige wenige linke Nischenblätter und die kurdische Presse, die sowieso schon lange als PKK-Propagandisten unterdrückt werden. Der letzte kritische Fernsehsender IMC wurde kürzlich abgeschaltet.

Das Ziel des türkischen Präsidenten ist ganz offensichtlich: Egal ob gedruckt oder gesendet, in der Türkei soll nur noch das Loblied Erdoğans gesungen werden. Diese totalitäre Vorstellung beschränkt sich nicht auf die Medien. Erdoğanwill außerdem noch die Gewaltenteilung abschaffen.

Eine unabhängige Justiz gibt es nur noch in seltenen Ausnahmefällen, und die Exekutive unter Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu ist nichts anderes als ein Erfüllungsgehilfe des Präsidenten. Das Parlament mitsamt der absoluten Mehrheit für ErdoğansAKP wird seit dem Wahlsieg vom 1. November auch immer bedeutungsloser.

Zwar gibt es nach wie vor große Widerstände gegen den Weg in den Totalitarismus, aber dieser Kampf für die Demokratie braucht dringend Unterstützung von außen. Beim heute beginnenden EU-Türkei-Gipfel wäre es hohe Zeit, Erdoğan und Davutoğluklarzumachen, dass eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage nicht automatisch bedeutet, die Unterdrückung der demokratischen Opposition zu akzeptieren.

Wenn die EU sich jetzt nicht endlich aufrafft, ihre Werte gegenüber dem Beitrittskandidaten Türkei zu verteidigen, muss man wohl von „angeblichen Werten“ sprechen, die längst keine Rolle mehr spielen. Auch ohne Flüchtlingskrise bleibt von der EU dann nicht mehr viel übrig.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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2 Kommentare

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  • Das war ein trauriger Tag für die Demokratie in der Türkei. Das sehen übrigens auch Verwandte in der Türkei so. Dort herrscht inzwischen wahrlich eine Stimmung der Angst. Die Inhaftierung von Journalisten, die Selbstmordattentate und der Krieg gegen die PKK.

     

    Fast beschämend ist es dann, wenn Europa und Deutschland das dann einfach so hinnimmt. Mit einer europäischen Lösung bei der Flüchtlingskrise ist Deutschland eben doch erpressbar.

  • "Beim heute beginnenden EU-Türkei-Gipfel wäre es hohe Zeit, Erdoğan und Davutoğlu klarzumachen, dass eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage nicht automatisch bedeutet, die Unterdrückung der demokratischen Opposition zu akzeptieren."

     

    Das scheint wohl tatsächlich der Preis zu sein, den die EU bereit ist zu zahlen. Erdogan ist sich bewusst, dass die EU in seinem Staat die derzeit einzige Möglichkeit sieht, der Flüchtlingskrise zu begegnen - da möchte man als EU, wenn man schon in der Position des Bittstellers ist, nicht mit der moralischen Keule schwingen.

    Ob das mit dem Selbstverständis Europas als liberaler, säkularer Staatenbund vereinbar ist, steht auf einem anderen Blatt.