Kommentar Polizei und „Fusion“-Festival: Kanonen gegen Konfetti
Die Sicherheitsbehörden bereiten sich auf das „Fusion“-Festival vor wie auf einen Aufstand. Dahinter verbirgt sich ein Kulturkampf.
B is zu 1.000 Polizisten, Wasserwerfer und Räumpanzer, unterstützt durch Bundeswehrsoldaten: Laut einer Recherche der Zeit bereiten sich die Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern auf die „Fusion“ Ende Juni vor wie auf den nächsten Aufstand. Zur 21. Auflage des Techno-Festivals heißt es dann wohl: Kanonen statt Konfetti und Schlagstöcke statt Drumsticks. Dabei handelt es sich um eine vollkommen realitätsferne Hochrüstung – ein Lehrstück für einen sich radikalisierenden Polizeistaat.
Angegriffen wird ein Festival, das zehntausende Teilnehmer alljährlich als gewaltfrei, sicher und ohne Sorge vor einem übergriffigem Staat erlebten. Mit Füßen getreten wird das Sicherheitskonzept der Veranstalter, das seit 1997 funktioniert und niemals zu ernsthaften Problemen geführt hat. Das Wichtigste aber ist: Angegriffen wird ein Freiraum der politischen Linken. Die Fusion ist nicht nur ein Ort des Feierns, sondern auch der Vernetzung, ein Ort gelebter Utopie abseits kapitalistischer und repressiver Normalität.
Der verantwortliche Neubrandenburger Polizeichef kennt die Fusion aus Videos und das Gelände von einem Hubschrauberüberflug. Obwohl kein Handlungsbedarf bestand, hat er vor Monaten eine wissenschaftliche Arbeit in einer Polizeifachhochschule angeregt, in deren Kuratorium er sitzt. Das erwünschte Ergebnis: Es brauche mehr Polizei. Kaum auszudenken, dass diese 1.000 Polizisten, selbst wenn sie keine Wache auf dem Festivalgelände bekommen, nicht auch zum Einsatz kommen. Wie sonst könnte der Hunderttausende Euro teure Einsatz gerechtfertigt werden?
Hinter den vermeintlichen Sorgen um die Sicherheit verbirgt sich ein Kulturkampf. Dazu gehört auch, dass mit jener Bachelorarbeit sensible Daten der Fusion-Veranstalter bei einem verurteilten rechten Gewalttäter landeten, einem an die Fachhochschule versetzten Polizisten, der als AfD-Mitglied Jugendliche, die zuvor Konfetti geworfen hatten, mit Reizgas attackierte. Die Fusion muss das als Warnung verstehen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin