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Kommentar Politik und GeflüchteteKleinlich, peinlich, deplatziert

Eva Oer
Kommentar von Eva Oer

49 Geflüchtete müssen im Winter wochenlang auf zwei Schiffen im Mittelmeer ausharren. Der Fall zeigt das Scheitern von Europas Regierungschefs.

Warten auf Nachricht: Migranten und Besatzungsmitglieder an Bord der Sea-Watch 3 Foto: Chris Grodotzki/ Sea-Watch.org/dpa

S oll das jetzt eigentlich das ganze Jahr so weitergehen? An mangelnder Bereitschaft auf lokaler Ebene liegt es jedenfalls nicht, dass die Organisationen Sea-Watch und Sea-Eye mit 49 aus Seenot geretteten Menschen an Bord auf dem Mittelmeer warten müssen. Mehrere Städte in Italien haben sich zur Aufnahme der Flüchtlinge bereit erklärt, und auch deutsche Kommunen wie Berlin, Hamburg und Bremen sollen willens sein.

Aber die Staats- und Regierungschefs Europas lassen eher womöglich traumatisierte Menschen im Winter wochenlang auf dem Schiff ausharren, als sich zu einigen. Damit illus­trie­ren sie recht anschaulich ihr eigenes Scheitern: Seit Jahren kommen die Regierungschefs der Europäischen Union nicht damit voran, sich auf eine Reform des Asylrechts zu verständigen und eine gerechte Lösung für alle Mitgliedsstaaten zu finden. Ein halbes Jahr bereits währt zudem die Blockade der italienischen Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen – eine menschliche Lösung ist nicht in Sicht. Ausbaden müssen das jetzt die Seenotretter.

49 Menschen. Ist Deutschland wirklich so komplett ausgelastet, dass diese auf dem Meer umhertreibenden Geflüchteten nicht mehr aufgenommen werden können? Natürlich ist es das nicht. Dass das deutsche Innenministerium durch einen Sprecher angesichts dieser wenigen Dutzend Menschen auf einer „breiten europäischen Verteil­lösung“ beharrt, ist kleinlich, peinlich und deplatziert.

Geflüchtete verweigern Nahrung

Weil sie mehr als zwei Wochen nach ihrer Rettung auf dem Mittelmeer immer noch nicht an Land gehen dürfen, verweigern einige der 32 Geflüchteten auf dem Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch nun die Nahrungsaufnahme, darunter auch Kinder und Jugendliche. Es sei zu befürchten, „dass ihr psychologischer und gesundheitlicher Zustand sich spürbar verschlechtert“, so Sea-Watch. (afp)

Genauso wenig wäre Italien überfordert oder auch Malta. Allen geht es darum, harte Kante zu zeigen, um auch in Zukunft ja nicht in Gefahr zu geraten, als Ankunftsland in Erwägung gezogen zu werden. Bloß keinen weiteren Präzedenzfall von Solidarität und Mitmenschlichkeit schaffen.

Doch für die ewige Diskussion der Mitgliedsländer ist nun weder Platz noch Zeit. Es gibt Kommunen, die ­Menschen aufnehmen würden – und an denen bleibt im Zweifel doch eh die Arbeit hängen. Wenn sie sich schon selbst nicht einig werden, sollten Italien und Deutschland wenigstens ihren Städten die Chance geben, solidarisch zu handeln.

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Eva Oer
Redakteurin
*1985, seit November 2017 Redakteurin für europäische und globale Politik im taz-Auslandsressort. Hat seit 2014 immer mal wieder für die taz gearbeitet, meistens für das Ressort Wirtschaft und Umwelt, und schreibt gern über die EU und über Entwicklungspolitik.
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13 Kommentare

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  • Irrtum: Das Ziel der Aktion ist, den Flüchtlingen zu signalisieren: "Wir verhindern mit (fast) allen Mitteln, dass Ihr nach Europa kommt. (Noch wir dnicht geschossen, noch nicht) Daher ist die Schiffs-Affaire nur ein abschreckender PR-Baustein: Die Lage etwa in den Lagern auf den griechischen Ägäis-Inseln, ist - angesichts des aktuellen Kälte- und Schneechaos dort - inhuman. Egal meinen die EU-Staaten. Genau diese News sollen die dort Gestrandeten den potentiellen Followern senden. That'S all......

  • Wann hat eine Vereinigung wie die EU schon mal nicht irgendwelche Humanität verhindert?

    Was ist eigentlich mit den Nicht-EU-Staaten wie Schweiz, Norwegen oder Island? Besteht da keinerlei Bereitschaft von Kommunen, die Flüchtlinge aufzunehmen?

  • "Der Fall zeigt das Scheitern von Europas Regierungschefs."

    Exakt. Wieso wird das Schiff nicht zurück nach Afrika eskortiert?

  • "Doch für die ewige Diskussion der Mitgliedsländer ist nun weder Platz noch Zeit."

    Es wird ja nicht diskutiert. Man ist sich - vielleicht mit Ausnahme von Luxemburg einig, dass man in Libyen festsizende afrikanische Flüchtlinge nicht aufnehmen will.

    Das Problem entsteht dadurch, dass sich Noborder-NGOs und afrikanische Flüchtlinge diese Entscheidung demokratisch gewählter Regierungen nicht akzeptieren wollen.

    Ob man diesem Druck der NGOs nachgibt - und welche Konsequenzen dies hat - sollte dann doch schon diskutiert werden dürfen.

    Die 49 auf den NGO-Booten festsitzenden Geflüchteten sind in keiner schlimmeren Lage als die zwischen Kroatien und Bosnien festsitzenden Geflüchteten.

    • @A. Müllermilch:

      "Das Problem entsteht dadurch, dass sich Noborder-NGOs und afrikanische Flüchtlinge diese Entscheidung demokratisch gewählter Regierungen nicht akzeptieren wollen."

      Und die Gemeinden, die die Flüchtlinge aufnehmen wollen, haben keine demokratisch gewählte Gremien, die diese Bereitschaft geäußert haben? Tun Sie sich mit Herrn Habeck zusammen, der wusste auch noch nicht, dass es in Bayern und Thüringen demokratische Wahlen gibt.

      • @Age Krüger:

        Die Gemeinden können leicht wohlfeil „hier“ schreien, die Kosten muss ja dennoch der Bund tragen.



        Und bei der jetzigen Kompenzverteilung (Bund-Land-Gemeinde) sind die Lokalpolitiker gerade nicht gewählt worden, um über Migrationsfrsgen zu entscheiden.

  • mmh. frag mich ob die "passagiere" der seawatch3 eigentlich nicht schon so gut wie in die niederlande "eingereist" sind, eigentlich ist das schiff doch niederländisches hoheitsgebiet, oder? also steht einem transit in die niederlande doch eigentlich nix im weg.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Es ist immer wieder interessant zu sehen, dass die taz, wenn es um Flüchtlingsdramen im Mittelmeer geht Frankreich aussen vorlässt. Ein Blick auf die Karte würde genügen, um festzustellen, dass nach den italienischen Häfen, es die französischen Häfen sind, die am dichtesten an der Rettungszone liegen. Aber Frankreich macht total dicht, genau wie Italien. Frankreichs Innenminister Castaner liegt 100% auf der selben Linie wie italiens Innenminister Salvini, nur hat er, was Flüchtlinge angeht nicht so markige Sprüche drauf wie sein italienischer Amtskollege.



    Frankreichs Aussenminister dagegen hat die Seekarte des Mittelmmeers neu gezeichnet, indem er während der Krise um die Aquarius behauptet hat, Valencia liege dichter an der Rettungszone als Ajaccio.



    Macron, der Europa in ein progressistisches Lager und ein nationalistisches Lager eingeteilt hat, hat die Gelegenheit verpasst, diese These unter Beweis zu stellen, indem er die Rettungsschiffe in französische Häfen einlaufen lässt. Stattdessen hat er sich, was die praktische Flüchtlingspolitik anbetrifft, in das Lager der egoistischen Nationalisten eingereiht.



     

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    Die Moderation

  • Zitat: „Seit Jahren kommen die Regierungschefs der Europäischen Union nicht damit voran, sich auf eine Reform des Asylrechts zu verständigen und eine gerechte Lösung für alle Mitgliedsstaaten zu finden.“

    Kunststück. Diese Regierungschefs sind ja nicht deswegen Regierungschefs geworden, weil sie sich unbedingt mit anderen Leuten einigen oder Flüchtlingen Gutes tun wollten. Wie andere Kapitalisten auch wollten sie persönlichen Profit schlagen aus der Arbeit anderer. Und wenn sich diese Anderen nicht um die Arbeit reißen, weil sie dafür nicht gut genug bezahlt oder gelobt werden dafür, sind die Regierungschefs ähnlich aufgeschmissen wie andere Chefs, wenn die Belegschaft streikt.

    Natürlich ist weder Deutschland noch sonst ein Staat „so komplett ausgelastet, dass diese [49, in Worten: neunundvierzig] auf dem Meer umhertreibenden Geflüchteten nicht mehr aufgenommen werden können“. Aber um die Leistungsfähigkeit Deutschlands geht es auch nicht. Es geht darum, möglichst wenig Leistung erbringen zu müssen für möglichst viel Gewinn. Es geht darum, der Angst der Deutschen davor zu begegnen, dass sie nicht unendlich werden profitieren können vom Machtgefälle in der Welt, wenn sich die Welt darauf besinnt, dass sie die selben Rechte hat, wie sie der deutsche Michel für sich beansprucht.

    Klar, das ist „kleinlich, peinlich und deplatziert“. So what? Ich meine: Seit wann stört es denn einen Kaiser, wenn er nichts anzuziehen hat im Sommer? So lange er alle, die ihn dafür auslachen, entweder ignorieren oder aber standrechtlich erschießen lassen kann („harte Kante“), kann der Kaiser im Adamskostüm jeder Parade vorangehen. Er darf sich bloß nicht vor sich selber schämen. Aber welcher gelernte Kaiser hat das schon beigebracht bekommen?

  • Natürlich ist Deutschland nicht komplett ausgelastet aber das ist ja wohl nicht der Punkt. Es geht darum keinen Mechanismus einzuführen in dem Deutschland grundsätzlich jeden NGO Geretteten aufnimmt. Wie will man rechtfertigen nun alle aufzunehmen und bei der nächsten Tranche es nicht tut?

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Ein Schulterschluß der "Staats- und Regierungschefs Europas", sprich, der europäischen und im engeren Sinne der EU-Exekutive ... in toto ...

    Es zeigt einmal mehr -soweit man es sehen wollte- dass die qualitätsmedial vorgenommene Identifizierung der Bösen vs. der doch überwiegenden Guten eher eine hilflose Geste darstellt, welche die Realitäten bewußt negiert.

    Ja, zynisch betrachtet könnte es sogar sein, dass die konzertierte Verweigerung nicht zuletzt den Zweck erfüllt, die Schiffe mit den Geretteten "zu binden"; vorerst an weiteren Aktivitäten zu hindern.

  • Müsste man nicht mehr über das schwierige Ringen im Hintergrund schreiben. Ganz offensichtlich sind ja nicht 49 Menschen das Problem und es geht ja auch nicht um "Harte Kante" als Selbstzweck. Dass Kommunen sich bereit erklären ist ein Teil, aber vielleicht müsste man es weiter runterbrechen: Betriebe, Verwaltungen, Familien, Zeitungen erklären sich bereit eine bestimmte Zahl Flüchtlinge aufzunehmen, die von einer neutralen Stelle zugewiesen werden. Dann ist die Integration mit Arbeitsstelle auch gleich dabei. Natürlich machen nicht alle mit, aber für 49 Personen sollte es reichen. Und von denen, die mitmachen, profitieren ja alle.

    • 9G
      91381 (Profil gelöscht)
      @Markus Michaelis:

      Das ist tatsächlich ein interessanter Gedanke, der weiterverfolgt werden sollte:



      Nicht Kommunen (die das Geld der Gemeinschaft über Steuern nur treuhänderisch erhalten und eigentlich nur für die Gemeinschaft ausgeben sollten) erklären die Aufnahmebereitschaft, sondern Betriebe & Familien, welche dafür eigene Mittel aufwenden und den Unterhalt dieser Menschen dauerhaft sichern.



      Das wäre ein wahres christliches Handeln aus der eigenen Leistungsfähigkeit heraus.