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Kommentar Politik und DigitalesMehr Kompetenz wagen

Kommentar von Svenja Bergt

Vergurkte Social-Media-Strategien sind nicht das Problem. In der Politik wären an anderer Stelle Kenntnisse der IT-Technologie aber wichtig.

Nur Mut! Man kann alles lernen Foto: dpa

W er in den vergangenen beiden Wochen mal laut lachen wollte, der musste nur kurz schauen, welche Nachrichten die Union im Themenfeld Digitales produziert hat. Ein erst angekündigtes, dann zurückgezogenes Video? Einen Becher Popcorn. Ein elfseitiges PDF-Dokument als Antwort auf den „Rezo-Rant“, die Wutrede gegen die Regierungspolitik der vergangenen Jahre? Noch einen Becher. @paulziemiak vergurkt die Verknüpfungs-Funktion, mit der sich mehrere Tweets hintereinander in der richtigen Reihenfolge anzeigen lassen? Popcorn-Schlacht.

Jetzt ließen sich natürlich zwei Handvoll Social-Media- und drei Kommunikations-Expert:innen einstellen und das alles besser machen. Das ist auch der wahrscheinlichste, aber gleichzeitig der schlechteste Weg. Denn dadurch würde sich zwar das Bild ändern, aber nicht das Problem dahinter. Die unausgesprochene Frage, die bei all den Fails mitschwingt, ist doch: Braucht es neben dem Digitalpakt Schulen vielleicht einen Digitalpakt Politik? Für Politiker:innen, die auch 30 Jahre nach der Entwicklung des World Wide Web denken, Google sei die Startseite ins Netz und die sich heimlich diese E-Mail von dem nigerianischen Prinzen ausgedruckt haben, der einem ein Vermögen überweisen will, wenn man ihm ein paar hundert US-Dollar für die Anwaltsrechnung überweist?

Nun ist eine vergurkte Social-Media-Strategie eine Sache. Ärgerlich, möglicherweise rufschädigend, aber keine gesellschaftliche Katastrophe. Doch es gibt Bereiche, in denen eine Grundkompetenz der Legislative in Sachen Digitales wirklich elementar wäre. Das zeigt zum Beispiel die unsägliche, aber trotzdem immer wiederkehrende Debatte über eine Klarnamenpflicht im Netz. Dass alle, die trotzdem ungestraft vor sich hin trollen wollen, das mit ein bisschen IT-Kenntnissen weiterhin tun können – zumindest solange die Plattformen nicht ein Video- oder Post-Ident verlangen müssen –, ist unstrittig. Dass Foren, in denen sich zum Beispiel Betroffene über Krankheiten oder sexuelle Vorlieben austauschen, mit einer Klarnamenpflicht wohl der Vergangenheit angehören würden, auch.

Auch bei der großen Urheberrechtsreform im EU-Parlament wäre es hilfreich gewesen, wenn der konservative Chefverhandler beispielsweise gewusst hätte, wie die Google-Suche funktioniert. Dann hätte er sich wohl kaum zu der für ihn ziemlich peinlichen Aussage hinreißen lassen, dass es bei der Suchmaschine schließlich eine Rubrik für das Netzphänomen „Memes“ gebe. Die es natürlich nicht gibt: Was er als Rubrik zu identifizieren glaubte, war nur einer der von Google zu der Suche vorgeschlagenen Begriffe.

Internet-Auskenner:innen in zwei Wochen

Nun ist das mit der Digitalkompetenz eine komplexe Sache. Genauso wenig, wie es reicht, Klassenzimmer mit digitalen Whiteboards auszustatten, lassen sich digitale Neulinge in zwei Wochenend-Seminaren zu Internet-Auskenner:innen machen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Doch es gibt zwei Dinge, die helfen würden. Das erste: ehrlich sein. Genauso wenig wie tägliches Autofahren eine Verkehrsexpertin macht, wird zum Netzpolitiker, wer es schafft, eine Online-Überweisung per App zu erledigen. Und es hat halt nicht jede:r Informatik studiert oder verbringt die Hälfte des Tages auf Twitter. Wie wunderbar wäre es daher, mal einen Innenminister sagen zu hören: Nein, Gesichtserkennung übersteigt tatsächlich das, was ich mir technisch vorstellen kann, aber meine Fachleute haben gesagt, das ist grundrechtemäßig nicht ganz unkritisch. Also lassen wir es mal lieber.

Das zweite: Praxis. Das Internet ist wie ein Schachspiel. Die Kanäle und Werkzeuge sind Figuren, die es möglichst sinnvoll und geschickt zu bedienen gilt, sei es das Drehen von YouTube-Videos oder das Verschlüsseln von E-Mails. Also, liebe Politiker:innen: Einfach mal üben. Es muss ja nicht gleich ein Rant sein. Der klappt schließlich ganz analog schon gut genug.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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10 Kommentare

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  • @Janus "die Amerikaner ... haben ähnliche Interessen",



    die Interessenlage ist in der Tat der Dreh und Angelpunkt. Wenn die offen gehandelt würde, sähe die Welt anders aus (Strache). Das gilt für den Spitzenpolitiker wie für den Bürger. Je nach Interessenlage fällt das Urteil über Personen und Vorgänge aus. Wenn die Behauptung zuträfe, das Münchner Linux-Projekt sei am Projektmanagement gescheitert, tritt mangelnde IT-Kompetenz zu Tage. Zum "ehrlich sein" gehörte dann das Eingeständnis, 'wir können das nicht'.

    Ob Microsoft einer "der größten Förderer von Linux" geworden ist sei dahingestellt. Man kann Microsoft unterstellen, das Ziel seiner Produktgestaltung ist, Windows als Plattform weiter zu stärken. Interessant bei Betriebssystemen sind die Marktanteile bei Privatpersonen, Behörden, Unternehmen. Es gibt Unternehmen konsequent auf Microsoft-Produkte verzichten. In Punkto gläserner Nutzer schließt Windows10 zu Android auf. Unstrittig dürfte sein, dass Microsoft ebensowenig ein Anhänger offener Software ist wie der Innenminister.

    Mag sein, dass Huawei bei Cisco geklaut hat. Angeblich soll Huawei heute bei Datennetzen technologisch führen. Warum liest man das nicht von Cisco?

    Je nach Interessenlage schickt man die Europärer unter die Fittiche der Amerikaner oder die der Chinesen oder erwartet, dass Europa seine Kompetenz in Sachen I-Technologie auf 'Weltniveau' bringt und ein Projekt entsprechend zu Airbus startet - wobei dann vermutlich deutsche Behörden erwarten, Zugriff auf die Daten zu erhalten. Diese Kompetenz wird dann endlich realisert werden / kann schwer zu verhindern sein.

  • Inzwischen denkt man in der CDU/CSU darüber nach, eigene Influenzer aufzubauen, um gegen grüne und linke Sichtweisen anzugehen. Dazu schlägt das parteinahe "cnetz" vor, eigene Youtube-Stars nach "Rezo"-Vorbild fit zu machen. Natürlich habe ich dann mal auf dem Youtube-Channel von "cnetz" nachgeschaut: Sie haben tatsächlich 3 Abonnenten, zwei eingestellte Videos, die jeweils genau 532 Leute angeklickt haben. Das eine vor vier, das andere vor drei Jahren. Tolle Idee.

  • Das ist im Grunde in jedem Fachbereich das gleiche. Bei einem ehemaligen Arbeitgeber waren wir beim Mittagstisch ein recht buntes Team aus Chemikern, Physikern, Ingenieuren, Informatikern und einigen VWLern. Mitarbeiter jeder Profession haben sich in schöner Regelmäßigkeit über das profunde Unverständnis ihres Fachbereichs durch Politik und Medien aufgeregt.

    Das Problem der Politik ist in Sachen IT z.B. auch das es zwar Experten gibt die befragt werden aber sobald irgendwo Fördergelder in Aussicht gestellt werden gibt es auch Forschungseinrichtungen, die einem das Blaue vom Himmel versprechen, um sich die Taschen voll machen zu können.



    In den jüngeren Debatten zu Fake News und „Hate Speech“ hat z.B. das Fraunhofer Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie behauptet in der Lage zu sein beides automatisiert filtern zu können. Ich garantiere das man dazu nicht zuverlässig in der Lage ist, doch wenn das z.B. ein Politiker vom Kaliber Axel Voss hört dann glaubt der das natürlich erstmal.



    Diese Problematik lässt sich nicht durch Kenntnis von Twitter, Google und anderem Anwenderwissen lösen. Solchen Halbwahrheiten würden auch viele Digital Natives auf den Leim gehen.

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @Januß:

      Vielleicht noch als Ergänzung: die Problematik besteht nicht nur bei Politikern, sondern auch bei Journalisten. Zumindest lässt dieser Artikel das vermuten. Für die Autorin ist "IT" alles das, was irgendwie mit Kommunikation zu tun hat, also ihre eigen Metier artverwandt ist. Dass unsere Zukunft nicht nur durch soziale Netzwerke und digitale Medien bestimmt wird, sondern vielleicht in noch viel stärkerem Maße durch Themen wie maschinelles Lernen, Prozessautomatisierung, Gentechnik, ... geht leider unter. Dabei kann eine offene Gesellschaft nur mit gut informierten Bürgern funktionieren.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ich gehe sogar noch weiter:



    Die ganze Merkel'sche Digitalisierung war ein Irrweg. Ohne Google und Youtube und Rezo würde heute die CDU als das dastehen, was sie ist. Aber mit dieser ganzen Digitalisierungsorgie liegt die CDU nun extrem flach und zurecht am Boden und besteht nur noch aus 256 Nullen. Keine einzige Eins ist mehr dabei.



    Aber andererseits: Hier hat der Digitalisierungswahn der CDU dann doch wieder gute und sehr wichtige Arbeit geleistet.

  • "ehrlich sein", genau

    Die Digitalkompetenz der Bundesregierung ist eine Katastrophe. Ministerin Bär illustriert ihre Kompetenz mit Lufttaxis, während der digitale Netzausbau mangelhaft bleibt. Rezo hat die CSU leider übersehen. Der Innenminister muss die Technik der Gesichtserkennung nicht verstehen, er muss allerdings die gesellschaftlichen Folgen mit bedenken. Der gemeine Bürger ist gegenüber den Internetkonzernen bereits gläsern. Jetzt sollen es auch Journalisten gegenüber dem Staat werden.

    Europa ist in Sachen IT eine Kolonie. Die Kolonisten sorgen dafür, dass es so bleibt. Ein Beispiel ist die Marktmacht von Microsoft. Systematisch werden bereits kleinste Ansätze, sich unabhängig zu machen, ausgemerzt, wie bei z.B. beim Rollback der erfolgreichen Umstellung der Münchener Stadtverwaltung auf Linux zurück auf Windows.

    In Sachen Netzausbau sitzt Deutschland wie das Kaninchen vor der Kobra. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Chinesen mit Hilfe ihr Technik spionieren. Die USA machen das schon immer und sehen durch andere ihre Zugriffsmöglichkeiten bedroht.

    Lufttaxis werden eines Tages die Flugbereitschaft der Bundesregierung bereichern, während weiterhin beträchliche Teile der Bundeswehrflieger mängelbedingt am Boden bleiben. Schüler mit Tablets zu versorgen macht sich gut als Aushängeschild, sollen die ruhig mit Daddeln ihre Schulzeit verbringen. Die praktische Politik verrät mehr über die zugrunde liegenden Intentionen als jedes Wahlprogramm.

    Jahn Böhmermann fördert mit seiner Show "Lass dich überwachen!" die digitale Bildung, unsere Politiker eher nicht.

    • @Sancho:

      Microsoft ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten Förderer von Linux geworden. Die sind nun Mitglied in der Linux Foundation, haben ihre PowerShell zu Linux portiert, haben Ubuntu als Subsystem in Windows 10 integriert und bieten in ihrer eigenen Cloud die Verwendung von Linux an. Die Tage der klaren Fronten, als Linux mit Krankheitserscheinungen verglichen wurde, sind längst vorbei.

      Die Nummer in München wurde eben nicht ordentlich umgesetzt. Selbst die Unterstützer des Projektes sind ja der Meinung das es z.B. am Projektmanagement und der notwendigen Zentralisierung gemangelt hat.

      Es kann als absolut sicher angesehen werden das die Chinesen über Huawei spionieren würden. Als der Huawei Chef dazu interviewt wurde konnte er sich das Lachen kaum mehr verkneifen, natürlich hat er dennoch behauptet das Huawei nicht spionieren würde.



      Es gilt zudem als sicher das Huawei die Software zum Betrieb ihrer Netzkomponenten in essentiellen Teilen von Cisco geklaut hat. Entsprechend ist mit einem Vorteil in Sachen Sicherheit nicht zu rechnen.



      Klar ist die Frage letztlich von wem man sich ausspionieren lassen will aber den Amerikanern kann man viel eher trauen als den Chinesen. Nun bin ich hier nicht naiv, natürlich sind auch die Amerikaner nicht Vertrauenswürdig aber die haben ähnliche Interessen und das ist relevant.

      • @Januß:

        @Janus "Amerikaner ... haben ähnliche Interessen"



        ja die Interessenlage, daran entscheidet sich, ob Nigel Farage ein Hoffnungträger ist oder Scharlatan, ob Microsoft ein Förderer von Linux ist oder die Windows-Plattform stärken will, ob das Münchener Linux-Projekt aufgrund Projektmägeln oder wegen eines guten Microsoft-Angebots eingestellt wurde.



        Klar ist, je weniger sich die Entscheidungsträger mit den Spezifika der I-Technologie auseinandersetzen, desto anfälliger werden sie für Einflüsterer, das beginnt in der Schulpolitik und endet bei Huawei.

  • Ja, das wäre wünschenswert. Denn je mehr Zeit vergeht, desto mehr Wähler fassen sich bei Aussagen von Politikern zur IT regelmäßig an den Kopf und fragen sich: Was hat der denn geraucht? Das stimmt ja hinten und vorne nicht. Da kann man als Politiker über 35 sehr schnell ins Fettnäpfchen treten. Das sollte sich doch herumgesprochen haben.

    Die Lektüre von "Netzwerke für Dummies", "Internet für Dummies", "Facebook für Dummies", "Linux für Dummies" usw. sei jedem, der heute Politik machen will, ans Herz gelegt. Manchmal geht kein Weg daran vorbei, entweder ein paar Bücher zu lesen oder ein paar Kurse zu besuchen. Auch Youtube hält massenweise Lehrvideos über Computer und Netzwerke zur Verfügung.

    Aber das sollte man Politikern ja nicht extra sagen müssen, oder?

    ... oder?

    PS. "IT-Technologie" ist doppelt gemoppelt. "IT" heißt ja schon "Informationstechnologie".

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @kditd:

      Ja, die Physikerin liebt solche Klarstellungen:



      Ausbuchstabieren



      herausdeklinieren



      zusammenaddieren



      wegsubtrahieren