Gastkommentar zu Klarnamen im Netz: Lebensgefahr für Regimekritiker
Es mag viele gute Gründe für Klarnamen im Netz geben. Doch Anonymität kann überlebenswichtig sein – für Menschen, die nicht in Demokratien leben.
Licht in der Dunkelheit: Facebook, Twitter und YouTube konstituieren gerade in autoritären und repressiven Regionen demokratische Öffentlichkeit Foto: Ankit Singh/Unsplash
Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen, macht nicht immer Freude: „Keine Sorge: Wir kriegen dich! Egal, wo du dich versteckst, wir spießen dich auf,“ lautete etwa eine anonyme Drohung per Twitter, nachdem ich in einem Radiointerview die „Lügenpresse“-Rufe von Pegida-Demonstranten kritisiert hatte. Ja, ich wüsste nur allzu gern, wer mir für meine Meinung de facto einen Mord androht. Das Twitter-Konto wurde gesperrt, sonst passierte nichts. Trotzdem bin ich gegen eine Klarnamenpflicht in sozialen Medien.
Denn fast täglich lerne ich Menschen wie die syrischen Bürgerjournalisten von Raqqa Is Being Slaughtered Silently (RBSS) kennen. Sie haben in sozialen Medien den brutalen Terror-Alltag in Raqqa, der zeitweiligen Hauptstadt des sogenannten Islamischen Staats, dokumentiert. Durch ihre Arbeit im Schutz der Anonymität an einem Ort, in den sich internationale Journalisten damals nicht mehr trauten, bekamen die IS-Propaganda-Bilder Risse. Hätte es eine Klarnamenpflicht gegeben, wären die meisten RBSS-Aktivisten einfach aufzuspüren gewesen und ermordet worden – einige wurden es dennoch.
Das Beispiel aus Syrien zeigt: Facebook, Twitter, YouTube und Co. sind mehr als private Konzerne. Sie konstituieren gerade in autoritären und repressiven Regionen demokratische Öffentlichkeit, sie sind informationelle Grundversorger. Das in Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entwickelte Recht auf Privatsphäre definierte 1948 für die Offline-Welt das Menschenrecht, in der Öffentlichkeit anonym bleiben zu dürfen. Wenn Facebook, Twitter und Co. jedoch Teil der modernen globalen Öffentlichkeit sind, dann gilt dieses Menschenrecht eben auch online in Syrien genauso wie in Deutschland.
Das Beispiel der syrischen Aktivisten zeigt, dass Anonymität überlebenswichtig sein kann. Mal davon abgesehen, dass mehrere empirische Untersuchungen nahelegen, dass es zwischen Beschimpfungen und Anonymität keine eindeutige Korrelation gibt.
Lesen Sie auch die Gastkommentare: Demokratie braucht Anonymität von Yannick Haan und Die feigen Social-Media-Hetzer von Daniel Mack
Gastkommentar zu Klarnamen im Netz: Lebensgefahr für Regimekritiker
Es mag viele gute Gründe für Klarnamen im Netz geben. Doch Anonymität kann überlebenswichtig sein – für Menschen, die nicht in Demokratien leben.
Licht in der Dunkelheit: Facebook, Twitter und YouTube konstituieren gerade in autoritären und repressiven Regionen demokratische Öffentlichkeit Foto: Ankit Singh/Unsplash
Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen, macht nicht immer Freude: „Keine Sorge: Wir kriegen dich! Egal, wo du dich versteckst, wir spießen dich auf,“ lautete etwa eine anonyme Drohung per Twitter, nachdem ich in einem Radiointerview die „Lügenpresse“-Rufe von Pegida-Demonstranten kritisiert hatte. Ja, ich wüsste nur allzu gern, wer mir für meine Meinung de facto einen Mord androht. Das Twitter-Konto wurde gesperrt, sonst passierte nichts. Trotzdem bin ich gegen eine Klarnamenpflicht in sozialen Medien.
Denn fast täglich lerne ich Menschen wie die syrischen Bürgerjournalisten von Raqqa Is Being Slaughtered Silently (RBSS) kennen. Sie haben in sozialen Medien den brutalen Terror-Alltag in Raqqa, der zeitweiligen Hauptstadt des sogenannten Islamischen Staats, dokumentiert. Durch ihre Arbeit im Schutz der Anonymität an einem Ort, in den sich internationale Journalisten damals nicht mehr trauten, bekamen die IS-Propaganda-Bilder Risse. Hätte es eine Klarnamenpflicht gegeben, wären die meisten RBSS-Aktivisten einfach aufzuspüren gewesen und ermordet worden – einige wurden es dennoch.
Das Beispiel aus Syrien zeigt: Facebook, Twitter, YouTube und Co. sind mehr als private Konzerne. Sie konstituieren gerade in autoritären und repressiven Regionen demokratische Öffentlichkeit, sie sind informationelle Grundversorger. Das in Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entwickelte Recht auf Privatsphäre definierte 1948 für die Offline-Welt das Menschenrecht, in der Öffentlichkeit anonym bleiben zu dürfen. Wenn Facebook, Twitter und Co. jedoch Teil der modernen globalen Öffentlichkeit sind, dann gilt dieses Menschenrecht eben auch online in Syrien genauso wie in Deutschland.
Das Beispiel der syrischen Aktivisten zeigt, dass Anonymität überlebenswichtig sein kann. Mal davon abgesehen, dass mehrere empirische Untersuchungen nahelegen, dass es zwischen Beschimpfungen und Anonymität keine eindeutige Korrelation gibt.
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Kommentar von
Christian Mihr
Autor*in
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