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Kommentar PflegekräftemangelEine ehrliche Diskussion, bitte!

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Das Pflegepersonal ist knapp – die Nachricht ist nicht neu und auch die Reaktionen sind es nicht. Empörung reicht nicht mehr, es braucht Geld und Taten.

Die Pflegekasse muss mehr bezahlen Foto: dpa

W er Angehörige hat, die im ­Pflegeheim sind oder selbst dort lebt, auf den wirkt die Empörung über den Personalmangel wie ein abgedroschenes Ritual. Empörung, Appelle, Nichtstun – so läuft es ab. Die Wahrheit aber lautet: Wir brauchen eine ehrliche Diskussion. Entweder es muss mehr, sehr viel mehr Personal in Heimen und auch in Krankenhäusern beschäftigt werden und das kostet und dieses Geld müssen Beitragszahler, Steuerzahler und Angehörige aufbringen. Oder es bleibt alles beim Alten.

Dazu der Klassiker aus dem Seniorenheim: Die alte Dame ist dement, wacklig auf den Beinen und sturzgefährdet. Aber sie will immerzu laufen, sich bewegen, sie bringt sich selbst damit in Gefahr. Es ist nicht möglich, ihr dauerhaft eine Pflegekraft an die Seite zu stellen. Was tun? Sie ruhigstellen mit Medikamenten, ins Bett verfrachten, Gitter hoch? Die Angehörigen würden sich beschweren, durchaus zu Recht. Soll man die Dame laufenlassen, das Sturzrisiko in Kauf nehmen? Auch hier kommt der Protest der Angehörigen. Also Personalaufstockung?

Das kostete aber mehr, mehr Personal müsste eingestellt werden, der Eigenanteil der Angehörigen für das Heim würde steigen und die Kosten für die Sozialämter. Die Pflegekasse müsste mehr bezahlen, der Pflegebeitrag würde angehoben. Wer Selbstbestimmung wollte, müsste die alte Dame dennoch ab und an auch allein laufen lassen und das Sturzrisiko akzeptieren.

Man ahnt schon, wie heikel eine ehrliche Diskussion über die Versorgung einer alternden Gesellschaft ist. Schließlich geht es um höhere Beiträge für die Mittelschicht, um mehr öffentliche Ausgaben, aber auch um eine Akzeptanz des körperlichen und geistigen Abbaus und um einen Kompromiss aus beidem. Beides ist unangenehm, damit gewinnt man keine Wahl. Da hofft man lieber insgeheim, dass es einen selbst und die Angehörigen nicht trifft oder genug privates Geld da ist für eine ausländische private Betreuungskraft. Offener und ehrlicher wäre besser.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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7 Kommentare

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  • Wenn es um die Privatisierung, sprich Kommerzialisierung, von Autobahnen geht, ist vielen klar wohin das führt. Nichts anderes passiert in der privatisieren Kranken- und Altenpflege.

    In beiden Fällen geht es schlicht und einfach darum Gewinne zu maximieren.

    Das sind normale Abläufe im Kapitalismus.

  • Wie wäre es mal mit einer besseren Bezahlung der Pflegekräfte.

  • Z.B. auch Stern und auch viele Ärzte und Spezialisten haben zurecht etwas festgestellt, was unser Land wirklich kaputt macht!

     

    Bis 1993 konnten Krankenhäuser weitgehend sorglos existieren. Für Investitionen bekamen sie Geld von den Bundesländern, für den laufenden Betrieb – von den Krankenkassen, Verluste wurden rückwirkend erstattet.

     

    Nach mehreren Gesundheitsreformen später gibt es eine duale Finanzierung. Das öffentliche Geld bekommen Krankenhäuser von den Ländern für Investitionen, laufende Kosten müssen selbst aufbringen. Es gibt ein DRG Abrechnungssystem.

     

    Folgen:

    -Anzahl der Behandlungen (Fälle) und somit auch Abrechnungen nach DRG-Fallpauschalenregelung ist stark angestiegen,

    -Es gibt viel mehr teurerer Abrechnungen nach dem DRG-System,

    -Am Patienten wurde gespart (weniger Pflegekräfte, Krankenschwestern, Einsparungen an Behandlungsprozessen – z.B. „optimale Versorgung“...),

    -Es gibt viele Skandale und Todesfälle in den Krankenhäusern...

     

    Mit Gesundheitsreformen wollte man Wettbewerb zwischen Krankenhäusern intensivieren und Verschwendung verhindern...

     

    Alles ist daneben gegangen!!!

     

    2004 zu Beginn der Reformen gaben Krankenkassen 47,2 Milliarden € für Krankenhausbehandlungen aus. 2013 aber waren es schon mehr als 64,8 Milliarden €. Das bedeutet, dass Reformen erst dazu beitrugen, dass es so viel „Verschwendung“ gibt.

     

    Wie Herr Dr. Michael de Ridder so zutreffend sagte:

     

    „WIR LEIDEN UNTER DEM VERLUST VON MENSCHLICHKEIT.“

    • @Stefan Mustermann:

      Richtig! Die Privatisierungen haben anfangs Einsparungen bei den Personalkosten und damit bei den Gesamtkosten bewirkt.

      In dem nun bestehenden Gewinnsystem führen höhere Einnahmen der Krankenhäuser zunächst zu mehr Gewinn, aber erstmal nicht zu mehr Personal ... Von daher ist es mit "mehr Geld für" überhaupt nicht getan.

    • @Stefan Mustermann:

      "Mit Gesundheitsreformen wollte man Wettbewerb zwischen Krankenhäusern intensivieren und Verschwendung verhindern..."

       

      Wettbewerb bei menschenbezogenen Dienstleistungen ist eh eine heikle Sache.

  • Nach einer älteren (2014-2015) Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene gibt es 900.000 Ansteckungen in deutschen Krankenhäusern. Mindestens 30.000 davon sollen tödlich verlaufen.

     

    Einer der Gründe dafür ist das Verhältnis zwischen Pflegekräften und Krankenschwestern zu Patienten. Im europäischen Vergleich schneiden wir leider sehr schlecht ab.

  • Und was, bitte schön, soll diskutiert werden? Sie schreiben doch selbst diverses, Frau Dribbusch, das auf der Hand liegt: mehr Personal etc. pp.

    Das Grundproblem ist doch, dass Klinken mittlerweile Wirtschaftsunternehmen sind. Und in derartiger Praxis die Würde des Menschen längst nicht mehr unantastbar ist. Nein, zu diskutieren gibts da gar nichts. Was es benötigt ist eine grundlegende Reform des gesamten (sogenannten) Gesundheitswesens.