piwik no script img

Kommentar Neuer Terror in ParisSicherheitsextremisten unter sich

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Wie werden sich die Angst-, Hass- und Rachegefühle an der Wahlurne auswirken? Für Marine Le Pen ist der neue Terror von Paris ein Segen.

Spurensicherung am Tatort Foto: dpa

Wenn jetzt nur kein Attentat passiert!“ Wie oft hatte man in Gesprächen in den letzten Wochen und Tagen vor der französischen Präsidentschaftswahl diesen Satz gehört?

In dieser Bemerkung klang die Befürchtung mit, dass der Terrorismus, der weitgehend aus der Wahldebatte ausgeklammert wurde, plötzlich ins Zentrum rückt. Was die Schießerei auf der Avenue des Champs-Élysées am Donnerstag für Folgen haben wird, kann man nur ahnen. Das Ziel des Angriffs war zweifellos, in Frankreich Chaos zu schaffen. Zuvor hatten zwei in Marseille verhaftete mutmaßliche Dschihadisten angeblich geplant, ein Attentat zu verüben.

Was sich jetzt schon sagen lässt: der Einbruch der Irrationalität der Angst-, Hass- und Rachegefühle in die Kampagne wird einer wohlüberlegten Entscheidung an der Wahlurne kaum förderlich sein. Rund ein Drittel der Stimmberechtigten wussten bislang noch nicht, wen sie wählen sollten. Wird der „Islamische Staat“ mit der Aggression ihre Entscheidung bestimmen?

Jetzt schlägt die Stunde der Sicherheitsextremisten, die sich mit imponierenden Vorschlägen überbieten wollen. Alle werden wiederholen, dass sich Frankreich nicht einschüchtern lasse. Doch wer von den Kandidaten ist so couragiert, in einer solchen Situation kaltblütig genug zu bleiben, nicht am sicherheitspolitischen Wettlauf teilzunehmen oder diesen gar auf die rassistische und fremdenfeindliche Schiene zu schieben?

Für die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, ist diese Wende in der Debatte geradezu ein Segen. Sie wird keine Sekunde zögern, um den Tod des Polizisten als Beweis für dringende Notwendigkeit ihrer Law-and-Order-Politik darzustellen und zu versprechen, mit ihr als Präsidentin würden alle Terrorverdächtigen entweder ausgewiesen oder interniert.

Dass es sich beim Täter einmal mehr um einen französischen Staatsbürger und nicht um einen der von ihr verteufelten Immigranten handelt, ist wohl nur ein Detail für sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • War doch vorherzusehen, oder? Das Ziel des IS bei solchen Anschlägen ist doch immer und überall das gleiche (und zwar in Strategieveröffentlichungen genau so beschrieben): Staaten destabilisieren durch Polarisierung zwischen Moslems und anderen. Je mehr gegen Moslems gehetzt wird und je mehr sie diskriminiert werden, desto mehr von ihnen sind dazu bereit, den Krieg aufzunehmen.

     

    Die Wahl von Le Pen wäre ein wichtiger Erfolg für die Islamisten, deshalb sind solche Anschläge Teil der Taktik.

     

    Diese Strategie ist so perfide, weil sie so sicher funktioniert, wie einen Stein einen Berg herab zu rollen. Ein kleiner Stoß reicht, der Rest ergibt sich von selbst. Die Zivilgesellschaft dagegen muss Steine bergauf rollen, und da reicht kein Stoss, sondern man muss immer weiter rollen und darf nie aufhören. Das ist viel schwieriger.

  • Vive la France!!!

    Ich hoffe die Franzosen zeigen sich erhaben über die Versuche des IS, sie den Rechten in die Arme zu treiben. Eine EU am Boden -durch einen Le Pen Sieg- wäre Wasser auf ihre Mühlen.

    Der IS braucht Gegner wie Le Pen, um ihren Lügen über uns nachträglich Evidenz zu verschaffen. Dieser "Krieg" wird in Köpfen entschieden, denn es geht ja um Ideen, die man bejaht und andere deshalb verwirft. Nur auf dieser Ebene hatten sie je eine Chance gegen uns und die Amerikaner.

    Der Islam ist eine kulturelle Entität von 1,6 Milliarden Menschen. Wenn da der geistige Giftschrank geöffnet wird, gewinnen wir nicht mit Gewalt, es sei denn wir würden selbst zu Schlächtern.

    Es geht um Symbole, die wirken.

    Frau Merkel wusste das, und ihr Symbol der Solidarität schützt uns in der islamischen Welt davor, dass diese IS Lügen über unser Land verfangen. Mit staatlich sanktionierten muslimischen Religionslehrern, an öffentlichen Schulen, die verpflichtend besucht werden entgiftet man die Köpfe. Das muss induziert werden. Wir brauchen immunisierte muslimische Gemeinden und es braucht vielleicht so etwas wie die muslimischen 68iger. Frankreich hätte das pushen sollen, mit einer so großen Minderheit, die schon so lange von autoritär aufgewachsenen Imamen beliefert wird. Wir hätten doch auch keine DDR Kader importiert, um hier Powi zu unterrichten. Deutschland bildet bereits seit 2010 Antikörper aus, sie kommen langsam an die Schulen und hoffentlich bald in die Moscheen. Nur der dumme Laizismus hat Frankreich blind werden lassen für diese Zusammenhänge. Das nutzt der IS.

     

    Hoffentlich kommt Macron dran, er scheint sich nicht von Ideologien am Denken hindern zu lassen (auch nicht die Hausgemachten).

    • @Adelphos:

      Kapitalismus ist keine Ideologie? Danke für die Erkundigung.