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Kommentar Mobbing an Schule in BerlinQuälerei ist kein Kinderkram

Ariane Lemme
Kommentar von Ariane Lemme

Häufig verlassen Mobbingopfer ihre Schule. Die Täter bleiben. Deshalb müssen klare und verbindliche Regeln sowie echte Verpflichtungen her.

Wer weiß, was hinter diesen Schulmauern passiert? Foto: dpa

E in elfjähriges Mädchen nimmt sich das Leben. Es soll von Mitschülern seiner Berliner Grundschule gemobbt und auch körperlich angegriffen worden sein. Noch bevor klar ist, was genau passiert ist, wird über das Schikanieren und Demütigen unter Schülern, das Wegschauen von Lehrern wieder diskutiert. Gut so. Denn auch ganz unabhängig von diesem entsetzlichen Fall aus Reinickendorf macht Mobbing viel zu vielen Kindern das Leben zur Hölle, das Lernen unmöglich und wirkt sich nicht selten bis weit ins Erwachsenenalter aus.

Klar kann man argumentieren, dass es Gemeinheiten, Ausgrenzung, auch drastische, schon immer unter Kindern gab. Dass das – bis zu einem gewissen Grad – zum Erwachsenwerden dazugehört und dass darüber hinaus Eltern und Schulen eben verantwortlich sind, das zu verhindern.

Doch zum einen unterschätzen viele Verantwortliche noch immer die Wucht, die das Verleumden und Bloßstellen anderer bekommt, wenn es über soziale Medien gespielt und so unwiederbringlich öffentlich wird. Da wird nichts vergessen, und der Kreis derer, die mitwissen und mitmischen können, explodiert.

Und eben deshalb ist das Thema Mobbing nichts, bei dem jede Schule vor sich hin wurschteln sollte. Es braucht klare und verbindliche Regeln sowie die echte Verpflichtung für Schulen, solche Fälle an unabhängige Meldestellen weiterzuleiten. Die müssten dann mehr leisten, als leise zu vermitteln. Oft genug verlassen am Ende die Opfer die Schule, die Täter bleiben. Andere Opfer von Ausgrenzung nehmen wir doch auch ernst, da sollte es selbstverständlich sein, dass auch gemobbte Kinder eine starke Lobby bekommen.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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10 Kommentare

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  • Als Lehrerin möchte ich mal klarstellen, dass Schule und Unterricht ein sehr komplexer Vorgang ist.

    Auffällig an allen Artikeln quer durch die Zeitungslandschaft ist, dass kaum differenziert wird.

    Meistens stehen die Klassenlehrer-innen ihren Schüler_innen näher als Lehrkräfte, die den anderen Fachunterricht durchführen.

    Davon abgesehen gibt es Gruppendynamiken in Lerngruppen, die sich Menschen, die nichts mit Schule zu tun haben, kaum vorstellen können.

    Diese Dynamiken haben ihre eigene "Logik" innerhalb der Schüler_innengruppe, und sie ist für die Lehrkräfte so ohne Weiteres nicht einsehbar. Darauf wird in dysfunktionalen Gruppen in, denen eine solche Hierarchie herrscht, geachtet.

    Als Lehrkraft bekommen Sie atmosphärische Störungen mit und können versuchen, darauf einzuwirken.

    Gleichzeitig haben Sie 5-15-Minuten-Pausen, in denen Sie öfters Aufsicht haben.

    Bei einer 26-Stunden-Verpflichtung bei einer vollen Stelle mit allen zusätzlichen Verpflichtungen - wann, sehr geehrte Öffentlichkeit - sollen wir denn noch problematischen Entwicklungen wie Mobbing in einer Lerngruppe nachkommen?

    Und davon ganz abgesehen, wird in Ihren Artikeln die absolut toxische Rolle Sozialer Medien beim Thema "Mobbing" überhaupt nicht in Betracht gezogen; dabei ist sie mehr als erheblich.

  • Aus eigener Erfahrung mit meiner Tochter, weis ich, wie wenig sich die Lehrerschaft damit rühmen kann richtig, bzw. überhaupt in die Mobbingattacken einzugreifen!

    Leider ist es heute so, dass vermehrt Kinder aus den sogenannten Besseren Haushalten vermehrt gegen Kinder aus Familien von Alleinerziehenden mobben, denn häufig fehlen diesen Kindern die teuersten Smartphones oder Markenkleidung, um deren Standards erfüllen zu können!



    Auch trifft es sehr häufig Kinder, die aus anderen Gründen mehr Abstand zu den Gruppen halten, weil sie sich durch körperliche Begebenheiten unvollkommen fühlen!

    Genau hier setzen die Lehrer zumeist völlig falsch an, in dem sie z.B. wie bei meiner Tochter, noch in die selbe Kerbe schlagen!



    Meine Tochter war mit 13 Jahren schon einen Kopf größer als ihr Sportlehrer und der ließ keine Unterrichtsstunde aus, um sich darüber zu belustigen, welches von den Schülern dankend aufgegriffen wurde!



    Als meine Tochter wieder einmal stark bedrängt wurde, schlug sie um sich und traf einen der Hauptmobber mit einem Rechten Haken!



    Die Schulleitung, die 1Jahr lang nichts gegen die Beschwerden meinerseits und die meiner Tochter unternommen hat, suspendierte meine Tochter nun auf Wunsch der akademisch geschulten Eltern für drei Tage vom Unterricht und ließ den Angreifer und seine Helfer unbehelligt!



    Die Lehrer entscheiden sehr häufig nach dem sozialen Status des Opfers, ob sie für das Opfer oder ffür den Angreifer eintreten sollen!

    Genau diese Situation sieht man inzwischen in der gleichen Schule auch, wenn es Kinder mit Migrationshintergrund trifft, sie werden schneller bestraft, als die Angreifer, wenn sie ich zur Wehr setzen!

    Die Lehrerschaf an den meisten Schulen sind einfach garnicht oder sehr schlecht geschult, wenn es um den Umgang mit Mobbing geht, egal ob mit den Opfern oder den Tätern!

    für mich ist das schlimmste, dass in den Schulen der soziale Status der Kinder über das Wohl und Wehe der Lehrerschaft entscheidet, wie immer wieder festgestell!

    • @urbuerger:

      Was Sie geschrieben haben, hat mich sehr betroffen gemacht. Es deckt sich mit den Beobachtungen und Erfahrungen, die ich aus meiner eigenen Schulzeit noch in Erinnerung behalten habe. Lehrer, Eltern, das System Schule, und wie die Gesellschaft mit schwächeren umgeht spielen eine ganz entscheidende Rolle, was das Mobbing betrifft, ohne die mobbenden Schülern dabei von jeder Verantwortung frei sprechen zu wollen. Ich hoffe, Ihre Tochter konnte dennoch "ihren" Weg gehen, und ist heute, trotz dieser Erfahrungen ein glücklicher Mensch.

  • Es gibt m Umgang mit Mobbing mehrer Probleme.



    1) "Das war früher auch schon so...". Mag sein, aber so gesagt erweckt das schnell den Eindruck, "deswegen ist es auch heute noch erlaubt!" Es war früher nicht richtig und es ist auch heute nicht richtig. Es gibt keine Rechtfertigung für Mobbing!

    2) "Mein Kind macht das nicht..." Wie oft habe ich in den letzten Jahren immer wieder Eltern sagen hören, dass IHR Kind sich ja nicht an Mobbing beteiligt. Nein, es war keine Beteiligung, es war die Initiative! Solange die Täter und Initiatoren von Zuhause aus geschützt werden, kann man nicht wirksam gegen Mobbing vorgehen!

    3) "Wenn er sich nur anders verhalten würde.." ist das klassisiche Argument auch seitens der Lehrpersonen in der Schule, womit das Opfer zum Täter gemacht wird. Das Opfer soll ein Verhaltentraining folgen, sich anders kleiden, anders reden, andere Musik hören oder sonst was "anders" machen. Damit wird das Opfer klar signalisiert: Es ist was nicht mit Dir in Ordnung! Ein Signal was auch Jahre später noch seine vernichtende Wirkung zeigen kann.

    Richtig ist, dass Mobbing mit NICHTS zu rechtfertigen ist! Das Mindeste was man in einer Klasse fordern und fördern muss ist, dass gegenseitig so viel Respekt herrscht, dass man sich nicht über andere profilieren muss. Denn das ist, aus lange Jahre Erfahrung beobachtet, einer der größte Ursachen: Initiatoren sind in der Regel die Kinder und Jugendliche (und später Erwachsenen!) die kein anderen Wert in sich selbst erkennen können, als dass sie über anderen erhaben sind. Sie brauchen das Mobbing um selbst jemanden zu sein. Und in der Bekämpfung von Mobbing sollte man genau da ansetzen, nicht beim Opfer!

    • 8G
      84935 (Profil gelöscht)
      @Olav van Gerven:

      Ganz genau auch meine Erfahrung, danke! Ich habe dann gekündigt, als ich diese Verharmlosungs/Wegkuck/Opfer-zu-Täter-Mentalität meines Chefs nicht ändern konnte...

  • Allein die Berichterstattung über das Thema in den Berliner Medien lässt einen schaudern und ist im Grunde eine Rüge des Presserats wert.

    Noch bevor überhaupt klar ist, ob sich die Schülerin das Leben genommen hat und Mobbing der Grund war werden besorgte Eltern vor die Kamera gezerrt und der Name der Grundschule in allen Medien genannt, sodass Journalisten vortan das Gebäude belagern können - was sie vortan auch tun.

    Anstatt das Thema sensibel und nachhaltig anzugehen, werden selbsternannte RTL II und Taff - Experten wie der unsägliche Carsten Stahl mit ihrer Vulgär - Pädagogik zu Rate gezogen, weil das Thema ja so emotional ist. Gut, dass wenigstens die taz bisher zurückgehalten hat.

  • Ich stimme zu, dass die Nutzung von Smartphones zur Bloßstellung die Situation erheblich verschärft. Allerdings erinnere ich mich an das Quälen von Mitschülern durch Klassenbullies und ihre Gefolgschaft in einer Weise, die mich heute noch beschämt. Besonders in den Umkleideräumen der Schwimmbäder und Turnhallen eskalierte es fast immer und traf stets die Selben. Das sogenannte Wegschauen hatte aber immer mit der Angst zu tun, selbst das nächste Opfer zu werden. Im Grunde ist das Ganze ja ein Abbild unserer Erwachsenengesellschaft. Akzeptanz und Integration von Schwächeren oder Fremden sind keine Selbstverständlichkeit, sondern eine kulturelle Errungenschaft, die auch erlernt werden muss. Und das nicht nur von Kindern.

  • Ich zwänge eine vergleichsweise hohe Anzahl von Menschen in einen vergleichsweise kleinen Raum, verbiete diesen Menschen bei Strafe, den Raum ohne Erlaubnis zu verlassen und veranstalte eine Reihe von Tests bei denen immer der/die "beste" und jeweils "schlechteste" bestimmt werden soll. Ich entwickle eine Notensystem, dass in sehr feinen Nuancen diese Abstufungen von gut zu schlecht genau definiert, und erzeuge zusätzliche Druck in dem ich verkünde, dass alle schlechten, ihr ganzes Leben verwirkt haben. Ich werte permanent ab und permanent auf.

    Und wundere mich: Mhm komisch, wieso mobben diese Menschen sich? Muss wohl an den Handys liegen.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Bevor drehtürartig in die Opfer / Täter - Diskussion eingestiegen wird und viele viele Konjunktive wie sollten/könnten/dürften/müssten zur Konfliktlösung bemüht werden schlage ich vor, zwei Fragen nachzugehen:



    1. In der Schule wurde schon immer gehänselt, geprickt und es gab meistens auch den/die Klassenkaspers/Klassendeppen. Das war so - kann in mich erinnern - und hat sich in Richtung Pubertät dann verflüchtigt. Neu ist: Mit moderner Technologie (Smartphone) wird die Reichweite ins unendliche vervielfältigt und der Status für immer eingefroren. Fatal: „Früher“ konnte ich um Entschuldigung bitten, heute wird das sinnlos - weil die Handlung immanent ist. Ich vermute, dass viele Kinder mit diesem Umgang von Kompetenz und Konsequenz in ihren sozialen Handlungen völlig überfordert sind.



    2. Mir liegt auf der Zunge: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. An welcher Stelle nehmen Eltern ihre Rolle von Vermittlung sozialer Kompetenz ernsthaft wahr? Oder verlassen sie sich darauf, dass sich das alles „findet“?



    Ich bin sicher, dass Verbote und Regeln hier wenig hilfreich sind und wir Kinder mit Einsichten häufig überfordern. Konsequent wäre: Keine Smartphones etc. in der Schule, IT in der Schule nur an Schulgeräten. Es spricht nichts dagegen, jede Klasse mit Pads auszurüsten. Für den Unterricht.

    • 8G
      84935 (Profil gelöscht)
      @97088 (Profil gelöscht):

      Mobbing als notwendiges Übel darzustellen halte ich genauso gefährlich wie die verharmlosung als "normale Kabbeleien". Es gibt im schulischen Unfeld eine ganze Palette von Interventions- und Präventionskonzepten, je nach Bedarf und Ressourcen.



      Was den negative Einfluss der Mediennutzung angeht, muss ich Ihnen recht geben, aber meiner Erfahrung nach ist Mobbing oft noch ganz analog und das Digitale kommt verschärfend dazu.



      Ich würde übrigens auch die Fernsehformate abschaffen, in denen mit respektlosem Ungang untereinander Quote gemacht wird. Muss man sich in Zeiten, in denen ein Dieter Bohlen mit öffentlichem Niedermachen berühmt wird, noch über einen Verlust an Empathie in der Gesellschaft wundern?