Kommentar Minderheiten in Russland: Die Hölle der Namenlosen

Homosexuelle werden in Russland gejagt, in Tschetschenien gefoltert. Die EU muss das Schutzbedürfnis dieser Gruppe ernster nehmen.

Drei rosa vermummte Männer mit Putin-Masken

Wladimir in Rosa: Homo-Proteste vor der Russischen Botschaft in London Foto: dpa

Immerhin: Schön, dass sie darüber gesprochen haben. Auch diesmal hat Angela Merkel bei ihrem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Sotschi die Gelegenheit genutzt, die Verletzung von Minderheitenrechten zum Thema zu machen – diesmal am Beispiel homosexueller Tschetschenen und der Zeugen Jehovas.

Beim Thema Menschenrechte ist auf die Kanzlerin offensichtlich Verlass. Doch was folgt daraus?

Menschen mit, wie es offiziell heißt, nicht traditioneller sexueller Orientierung, sind in der gesamten Russischen Föderation eine der meist gehassten und verfolgten Gruppen. Homosexuelle, die als abartig und krank gelten, werden systematisch diskriminiert und manchmal umgebracht. Und das mit dem Segen der Orthodoxen Kirche. Und ohne, dass in den meisten Fällen die Täter dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Offiziell gibt es in Tschetschenien keine Homosexuellen

In der muslimisch geprägten Kaukasusrepublik Tschetschenien ist die Situation für Schwule noch lebensbedrohlicher. Mit Ramsan Kadyrow herrscht dort ein Mann, der, der schützenden Hand Putins sei Dank, die Bevölkerung terrorisiert, wie es ihm beliebt. Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen und Folter sind nur einige Begriffe, um die Lebenswirklichkeit vieler Menschen zu beschreiben. Homosexuelle, die es laut Kadyrow in Tschetschenien eigentlich gar nicht gibt, werden in Geheimgefängnissen sexuell missbraucht und so auf eine besonders perfide Art gedemütigt.

Vor diesem Hintergrund ist es umso skandalöser, wie mit Tschetschenen umgegangen wird, die in der Europäischen Union Zuflucht suchen. Häufig mit dem Etikett versehen, gefährliche Islamisten zu sein, schiebt Polen sie gnadenlos wieder nach Weißrussland ab. In Deutschland werden tschetschenische Asylsuchende mit der Begründung zurück gewiesen, es gebe in Russland ja eine innerstaatliche Fluchtalternative. Wie die aussieht, wissen die als „Schwarzärsche“ titulierten Kaukasier, auf die in russischen Städten Jagd gemacht wird, nur zu genau.

Deshalb sollte die EU, so sie ihre eigenen Standards noch ernst nimmt, genau hin gucken, wo es um das Schutzbedürfnis tschetschenischer Flüchtlinge geht. Alles andere ist zynisch. Daran ändern auch mahnende Worte in Sotschi und Solidaritätskundgebungen mit tschetschenischen Homos in westlichen Hauptstädten nichts.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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