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Kommentar Mietendeckel in BerlinDer überfällige Griff zur Notbremse

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Trotz handwerklicher Fehler ist der Mietenstopp des Berliner Senats der erste richtige Schritt. Jetzt müssen weitere folgen.

Die Lage in Berlin ist noch dramatischer als in Frankfurt, München oder Hamburg Foto: Wolfgang Kumm/dpa

I n Berlin wird seit Jahren im großen Stil Reichtum umverteilt. Enteignet wird die Mittelschicht, die bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben muss. Die Mieten sind explodiert – und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wächst Berlin um knapp 40.000 Menschen pro Jahr, es werden aber weniger neue Wohnungen gebaut.

Allerdings ist dies nicht der entscheidende Preistreiber. Weit mehr Einfluss haben internationale Investoren, die seit Finanzkrise und Nullzinspolitik fast panisch auf der Suche nach Anlagen sind. In Berlin zahlen ein chinesischer Staatsfonds, britische Milliardäre und dänische Konzerne fast jeden Preis.

Die Preise für Eigentumswohnungen und Mieten haben sich in manchen Innenstadtvierteln in den letzten paar Jahren verdoppelt. Der Effekt: GrundschullehrerInnen, KrankenpflegerInnen, PolizistInnen, HandwerkerInnen, VerkäuferInnen, kurzum jene, ohne die die Infrastruktur jeder Großstadt zusammenbricht, können sich Berlin kaum mehr leisten. Die Lage in Berlin ist noch dramatischer als in Frankfurt, München oder Hamburg, weil die Einkommen in der Hauptstadt schlicht geringer sind.

Dafür fahren Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia seit Jahren Renditen von über 20 Prozent ein. Der Markt versagt somit doppelt: Zum einen wird Geld, das aus Arbeit stammt, in die Taschen von AktionärInnen gespült, die dafür eben nicht arbeiten. Zum anderen werden Wohnungen, die etwas grundsätzlich anderes sind als Schokoladenkekse oder Flugreisen, nämlich ein existentiell nötiges Gut, für viele unbezahlbar.

Deshalb ist der Mietenstopp des rot-rot-grünen Senats der überfällige Griff zur Notbremse. Blamabel ist, dass konservative SPDler das Ganze im letzten Moment kippen wollten – obwohl die SPD eigentlich das Copyright auf diese Idee beansprucht. Offenbar haben SPD und manche Grüne noch immer nicht verstanden, dass die Ära des Neoliberalismus wirklich zu Ende ist. Mit Sozialismus hat der Mietenstopp übrigens nichts zu tun: Er ist vielmehr ein Werkzeug aus der ordoliberalen Handwerkerkiste, das einen kollabierenden Markt korrigiert.

Woher kommen die neuen Wohnungen?

Klar, es gibt auch Unwuchten. Vermieter, die faire Mieten erheben, werden ebenso getroffen werden wie solche, die mal eben 15 Euro kalt kassieren. Das ist ungerecht – allerdings wiegt diese Ungerechtigkeit wenig gegen den Gewinn an Gerechtigkeit, den der Mietenstopp für mehr als eineinhalb Millionen Wohnungen in Berlin beschert.

Allerdings hat der Mietenstopp zwei handwerkliche Fehler. Der damalige US-Präsident Richard Nixon verkündete 1971 einen dreimonatigen Lohn und Preisstopp. Diese Manöver gelang, weil niemand damit gerechnet hatte – und eben nicht noch flugs die Preise erhöht wurden. In Berlin hat man sich lieber Zeit gelassen, das Ganze treuherzig angekündigt und sich gewundert, dass Vermieter das Naheliegende getan haben: schnell noch die Miete erhöht.

Das zweite Problem ist: Für bezahlbaren Wohnraum müssen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften, die ein knappes Drittel der Wohnungen in Berlin verwalten, mehr bauen können. Das scheitert oft an Bürokratie – und künftig womöglich auch noch daran, dass ihnen wegen des Mietendeckels Kapital fehlt, auch wenn Neubauten vom Mietenstopp ausgenommen sind. Dieser unschöne Nebeneffekt war absehbar. Rot-Rot-Grün schien von den Protesten der Genossenschaften und städtischen Wohnungsbaugesellschaften indes ernsthaft überrascht, was Zweifel an der Weitsicht dieses Senats weckt.

Der Mietenstopp ist trotzdem der erste richtige Schritt. Der zweite muss sein, langfristig kommunales Bauen mehr und effektiver zu fördern als bisher. Nur dann wird auch der Mietenstopp funktionieren – und kein Baustopp werden. Gelingen wird das nur, wenn Rot-Rot Grün miteinander und nicht, wie es manchmal scheint, gegeneinander regiert.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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14 Kommentare

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  • Bestenfalls eine Notlösung ohne ausreichende Folgenabschätzung. Kommunales und genossenschaftliches Bauen sowie effektive Förderung von Wohneigentum durch Erbpacht hätte der erste Schritt sein müssen, der jetzt möglicherweise unterbleibt, da Löcher, entstanden durch ausbleibende Investitionen, zuerst gestopft werden müssen.



    Ein Recht auf Wohnraum am Wunschort zum Wunschpreis wird - selbst im Sozialismus - nicht durchsetzbar sein. Leider.

    • @Gregor Tobias:

      Leider?



      Das ist schon physisch nicht möglich.

      • @Gastnutzer 42:

        Wwarum nicht?! Der andere User spricht, wenn wohl auch metaphorisch, von einem Recht auf Wunschort und Wunschpreis!

        Ein Recht einzuräumen bedeutet nicht zwingend, dass es physisch nicht in Gebrauch zu nehmen wäre.

        Sie sollten sich Ihre Semestergebühren doch besser erstatten lassen.

        • @Gerhard Krause:

          Ein Recht einzuräumen, heißt ich könnte notfalls darauf vor Gericht klagen.

          Jetzt nehmen wie an die Stadt Gotham wäre der schönste Ort in Deutschland. Nun entscheiden sich 80 Millionen dort wohnen zu wollen. Was nun?

          Oder spitzen wir es noch mehr zu - die schönste Wohnung im schönsten Haus mit dem schönsten Ausblick. Passen da 80 Millionen rein?



          Wie würden sie als Richter entscheiden?

          Wenn wir es metaphorisch sehen wollen, dann wünscht sich Gregor Tobias eine Welt mit Harmonie, in der jeder die Wohnung hat, die er gerne möchte, und das zu einem Wunschpreis. Das klingt nicht nach einem Lebensentwurf, sondern nach Warten auf eine Fee. Was auch okay ist – aber eben schlecht als Recht eingefordert werden kann.

          Kleine Nebenbemerkung - ich habe nur auf Fakten hingewiesen, sie haben die 'Diskussion‘ auf die persönliche Ebene verlagert? Warum? Ist Ihnen selber aufgefallen, dass ihre Argumente zu schwach sind?

          • @Gastnutzer 42:

            Ich "spreche" stets so mit Erwachsenen, einzig Kinder haben bei mir unbeschränkten "Kredit".

            Im Klausurfalle müsste ich Ihnen an Ihr Blatt schreiben "Abweichenden Sachverhalt konstruiert!".

            Ob User Greogor von einem subjektiv einklagbaren Recht sprechen wollte, halte ich ohne seine Klarstellung noch für sehr offen.

            So denn, welche für den Einzelnen verwertbaren Ergebnisse erstritten werden könnten, hängt u.a. und z.B. von der Ausgestaltung ab und welche Schranken gelten.

            "Ich" habe bereits ein abstraktes Wohnrecht für jede City und für den niedrigsten (Miet-)Preis, den ich mir bis der Arzt kommt denken kann - kann ich mich (aber) bereits wegen Art. 2 I GG, Allgemeine Handlungsfreiheit, gemeinsam mit den anderen 80 Millionen, die Sie hier bemühen, in Ihre "Bude" klagen?!

            Wir haben hier zB noch das Privateigentum und die Vertragsfreiheit.

            Also entspannen!

            Ihre 80 Millionen gehen bereits, lieber Erwachsener, über Unfug hinaus. Es mögen mir bitte schon alle 80 Millionen (Menschen) schreiben, ob sie, gemeinhin, an einem Ort leben wollen.

            Und auch das machen sie bereits, der Ort heißt, etwa, Deutschland. Es macht keinen Unterschied, ob die "Abstandsflächen" drei Meter oder 300 Kilometer ausmachen.

            Entschuldigung, für meinen folgenden Vergleich können Sie nichts:



            Diesen Fehler, nämlich das Wichtigste lapidar vorauszusetzen - hier bei Ihnen: "Nun entscheiden sich 80 Millionen [...]." - machen alle Neoliberalen und Neoklassiker, weil - das unterstelle ich Ihnen nat. nicht - man so die Menschen vom Denken abhält; die gewünschten Prämissen werden vorgekaut.

            Sie wiesen leider eben nicht auf Fakten hin.

            • @Gerhard Krause:

              Oh ein Lehrer, das tut mir leid.

  • Mietendeckel klingt so unelegant bürokratisch, um nicht zu sagen so unpolitisch aus der Kiste reinen Alarmismus und Notverordnung Ohnmachtsgebaren jener, die Teil des gesellschaftspolitischen Problems am Wohnungsmarkt sind durch Veräußerung kommunalen Wohungsbestandes zum Schnäppchenpreis an private Wohnungsunternehmen als Thilo Sarrazin SPD Finanzsenator Berlins war?

    Wäre es nicht viel besser, "Moratorium" in Sachen Immobilienpreis- , Mietentwicklung zu verkünden, alle am Wohnungsmarkt agierenden Akteure, samt Bundesbank, EZB mit ihrer Zinspolitik europaweit, bundesweit. landesweit, kommunal an einen Runden Tisch zu rufen, für ein gemeinsames Konzept samt entsprechenden Ausgleichsmechanismen in die Verantwortung zu nehmen, Unwuchten im Euro Wirtschaftsraum, Wohnungsmarkt hinsichtlich Entkoppelung Lohn- , Mietentwicklung zeitnah einzuebnen, damit für ein verstetigtes Wachstum in der Eurozone Kaufkraft nicht weiterhin durch Kapital Verklumpung in bestimmten Marktsegmenten Richtung Blasenwirtschaft Anlageformen verloren geht?

  • Liggers. Maa hett‘s wisse kenne.



    “Graue Kreise“ Na? - Remember - 1972!!

    Der Spiegel 45/72 - bitte - laß gehen - 😈



    “30.10.1972 · Hamburg und West-Berlin gilt zwar teilweise noch ein befristeter Altbaumieten- Stopp, aber jenseits dieser "Grauen Kreise" ...“ & Däh!



    “Mieten in Deutschland: Not im Wohlstand



    Axel Volquarts, Prokurist der Henry Aschpurwis Grundstücks-Verwaltungen, konnte nicht mehr an sich halten.



    Fünfmal seit 1961 hatte er eine Drei-Zimmer-Wohnung in Hamburg-Langenhorn um gelinde 2,9 bis 13,2 Prozent verteuert. Beim sechsten "Mieterhöhungs-Begehren" im April dieses Jahres setzte der Grundstücks-Manager die Monatsmiete der Aschpurwis-Wohnung um 31 Prozent -- von 247 auf 324 Mark -- herauf. Teuerungsrate seit 1961: 82 Prozent.



    & usw usf -



    &



    ff den langen langen kundigen Rest -



    Bitte selber lesen. Remember - 1972 👹

    www.spiegel.de/spi...nt/d-42787428.html

    kurz - Natalije un nu komms du

  • "Die Mieten sind explodiert – und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wächst Berlin um knapp 40.000 Menschen pro Jahr, es werden aber weniger neue Wohnungen gebaut."

    Irrtum, das ist eine direkte Folge der letzten Krisen, zB die s.g. Eurokrise. Wir können aber auch zuerst über Spekulation sprechen. :-)

    • @Gerhard Krause:

      Einfach mal die Fakten zuende denken?

      Die 40.000 sind die Ursache. NICHTS anderes.



      Die bösen Spekulanten würden auch in Mecklenburg kaufen und bauen - wenn da irgendwer wohnen wollen würde.

      • @Gastnutzer 42:

        Sie fahren leider auf dem falschen Dampfer weiter, aber nichts für Ungut.

        Hier weiß man nun einmal genau, dass das Ei vor der Henne da war, d.h. die (Flucht-)Anlage wird zuerst gesucht, erst dann kommen die (Umgebungs-)Bedingungen.

        • @Gerhard Krause:

          Können sie das irgendwie begründen?

          Die Spekulanten haben begriffen wie die Welt funktioniert. Natürlich können sie die Fakten ignorieren oder gar verleugnen. Aber das wird nicht eine Miete in die von Ihnen gewünschte Richtung ändern.

          Ja es wird zu viel Geld gedruckt. In meinen Auge ist die Entkopplung des Geldes von einem real existierenden Gut die Hauptursache für die Umverteilung hin zu den sowieso schon Reichen.

          Aber auch wenn wir eine Geldbindung hätten, wäre die Mieten z.B. in Berlin deutlich höher als in Suhl. Und das liegt daran, dass in Berlin eben mehr Menschen leben wollen.

          Ich sehe nicht, wie wir, das ursachliche Problem der Geldbindung angehen könnten. Hier wird es wohl einen Crash brauchen. Aber lokal kann sich jeder selbst überlegen, wie er mit den gegeben Umständen klar kommt. Oder er läßt sich ablenken und schimpft auf die bösen Spekulanten.

          • @Gastnutzer 42:

            Ich erkläre es sehr gern:

            Die 40.000 könnten eine erforderliche Bedingung abbilden, sie stellen indes nicht eine hinreichende Bedingung dar.

            "Ja es wird zu viel Geld gedruckt."; na, wenn das nicht mal vom Koll. Sinn stammt ;-).

            "[...]die Entkopplung des Geldes von einem real existierenden Gut die Hauptursache für die Umverteilung [...]"; das ist mir zu hoch, das verstehe nich' mal ich (richtig). Ich meine, hier könnte die Einbindung von Preisen und Inflation fehlen. Macht jetzt aber auch nichts. Im Übrigen kann Geld alles sein, sogar menschliche Sexualität.

            • @Gerhard Krause:

              Jetzt bin ich aber gespannt - was ist denn eine hinreichende Bedingung für zu hohe Mieten?