Kommentar March for Science: Ohne Werte keine Messwerte
Wissenschaftler gehen gegen die Alternative Facts auf die Straße und fordern zu Recht die Freiheit der Forschung. Dazu aber auch das Recht an Kritik.
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert“, schrieb Karl Marx, „es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Viele der Zehntausende von Wissenschaftlerinnen und Forschern, die am Wochenende von Neuseeland bis Washington demonstrierten, haben bisher vor allem interpretiert. Wenn sie die Welt veränderten, dann mit den Ergebnissen ihrer Arbeit.
Nun aber verwandelt sich die Welt – durch rechtspopulistische Ideologen, die in den USA, der Türkei, Ungarn, Polen und anderswo beides tun: die Welt anders interpretieren und sie brutal verändern.
Der weltweite Marsch gegen diese Ignoranz der Macht ist ein großartiges Zeichen der Wissenschaften, aber auch der Gesellschaften, die sie tragen und finanzieren. Wer freies Denken, Skepsis und Widerspruch so bekämpft wie Donald Trump, der selbst ernannte „Anführer der freien Welt“, steuert in einen autoritären Staat.
Diesen Zusammenhang haben all die witzigen Plakate und die wütenden Reden deutlich gemacht. Die Ersetzung von halbwegs gesicherten Tatsachen durch „alternative Fakten“ ist lebensbedrohlich für Gesellschaften, die sich für ihren Zusammenhalt politisch und wirtschaftlich auf gemeinsame (Mess-)Werte stützen.
Forscher fordern zu Recht ihre Freiheit. Das die nicht unbegrenzt ist, wurde an diesem großen weltweiten Demonstrationstag gern vergessen. Denn beginnt Zensur schon dort, wo Parlamente bestimmte Forschung nicht mehr finanzieren? Soll im Namen des faktenbasierten Wissens keine Kritik mehr möglich sein an Schulmedizin oder einem Alles-ist-machbar-Denken in der Gentechnik?
Niemand kann in eine Expertokratie zurückwollen, in der Halbgötter im Laborkittel uns Atomkraftwerke für den angeblichen Fortschritt aufschwatzten. Über Richtung und Ausmaß der Forschung dürfen und müssen wir uns sehr wohl streiten. Aber auch dafür brauchen wir eben die Freiheit, Argumente auszutauschen und entsprechend zu entscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin nimmt Haftbefehl zur Kenntnis und überlegt