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Frauenquote an deutschen UnisDie Fehler im System

Nur wenige Frauen lehren an der Uni, noch seltener leiten sie eine – trotz eines steigenden Frauenanteils vom Studium bis zur Promotion.

Seit Mai 2016 ist sie Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin: Sabine Kunst Foto: dpa

Berlin taz | Prof. Dr. Ing. habil Dr. phil. – das ist der offizielle Titel von Sabine Kunst: 62, Wasserbauingenieurin, Politologin, Biologin. Damit ist die zierliche Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt etwas Besonderes: eine der wenigen Professorinnen in Deutschland. Nur jede fünfte Professur an Unis und Hochschulen hierzulande ist laut Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern mit einer Frau besetzt.

Bei Kunst geht das mit dem „Besonderen“ noch weiter: Seit einem Jahr ist sie Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) – eine von wenigen Präsidentinnen und Rektorinnen einer Hochschule hierzulande. Von den 399 Unis und Hochschulen werden 73 von Frauen geleitet.

Nach wie vor gibt es Häuser, bei denen noch nie eine Frau an der Spitze stand. Die Freie Universität beispielsweise, wie die HU eine besonders geförderte Exzellenzeinrichtung. Ebenso die Uni in Halle, die Technische Universität Dresden, die Unis in Köln, Heidelberg, Düsseldorf, Karlsruhe. Die Liste lässt sich fortsetzen. Was nach gläserner Decke für Frauen aussieht, so wie das bei Aufsichtsratsposten und Vorständen der Fall ist, ist symptomatisch für den Wissenschaftsbetrieb.

Dabei ist der Trend zu einer ausgewogenen Geschlechterverteilung an Unis und Hochschulen längst ein anderer. Seit Mitte der 90er Jahre steigt der Anteil der Frauen, die sich für ein Studium einschreiben, kontinuierlich. 2015 waren über die Hälfte der Studierenden im ersten Semester weiblich.

Überproportional hoch ist der Anteil bei den Sprach- und Erziehungswissenschaften. Auch bei den Promotionen und Habilitationen gibt es mittlerweile mehr Frauen. Waren 1995 noch 31 Prozent derjenigen, die ihre Dissertation ­schreiben, Frauen, sind es zwanzig Jahre später schon über 45 Prozent. Früher waren von den Habilitierenden knapp 14 Prozent Frauen, heute sind es mehr als ein Viertel.

Weibliche Vorbilder fehlen

Deutlich wird aber auch: Je höher die Besoldung, desto niedriger ist der Frauenanteil. Man könne zwar auch mit einer W2-Professur, die gewöhnlich niedriger dotiert ist, in Ausnahmefällen genauso viel verdienen wie mit einer W3-Professur. „Aber das kommt höchst selten vor“, sagt Sabine Kunst: „Und dann müssen die Leistungen herausragend sein.“

Warum sind Frauen im angesehenen ProfessorInnenbereich noch immer unterrepräsentiert? Ganz einfach, sagt Ulrike Schultz, Akademische Oberrätin a. D. an der Fernuni Hagen: „Das Bild des männlichen Professors ist nach wie vor wirkmächtig.“

Das habe mit der Tradition von Bildung und Bildungseinrichtungen zu tun, die in den vergangenen Jahrhunderten ausschließlich Männern vorbehalten waren. Schultz ist mittlerweile 70 Jahre alt. Sie selbst habe in einem Klima studiert und geforscht, das von Sätzen geprägt war wie: „Das ist schon ein toller Professor.“ Eine „tolle Professorin“ sei nicht vorgekommen.

Schultz tourt mit Vorträgen über das Geschlechtergefälle in der Wissenschaft durch die Republik. Ihr besonderer Fokus liegt dabei auf der Rechtswissenschaft, ein Fach, von dem Schultz sagt, dass es wie kein anderes an den „männlich dominierten Strukturen“ festhalte – trotz des starken Zulaufs von Frauen. Die arbeiteten später aber seltener in der juristischen Forschung und Lehre, sondern häufiger als Anwältinnen oder in der Justizverwaltung. Von diesen Bereichen versprechen sie sich mehr materielle Sicherheit.

Bei ihren Vorträgen zeigt Schultz ihren ZuhörerInnen gern die Fotos von Jurafakultäten: Männerriegen mit einer Frau, manchmal mit zwei Frauen. Nicht selten entfernen die Unis nach Schultz’ öffentlichem Auftritt solche Präsentationsbilder von ihren Websiten.

Männliche Vorurteile

Ungeachtet der Tatsache, dass sich heute keine junge Frau mehr vorstellen kann, an einer Hochschule benachteiligt zu sein, weil sie eine Frau ist, gibt es nach Aussage von Schultz unter manchen älteren männlichen Lehrkräften immer noch Vorurteile gegenüber Frauen in der Wissenschaft. „Es gibt immer noch Männer, die sich nicht vorstellen können, dass Frauen genauso gut sind wie sie selbst“, sagt Schultz. Ebenso wenig glauben einige Männer, dass Frauen genauso „mitspielen“, also mithalten, wollen.

Zum „Mitspielen“ gehören heute allerdings – neben einer profunden Ausbildung und exzellenten Studien- und Arbeitsergebnissen – auch uneingeschränkte Flexibilität und allseitige Verfügbarkeit. Ein Fehler im System, wie Schultz findet, und gleichzeitig ein Widerspruch: „Lehre und Forschung sind eigentlich gut vereinbar mit der Familienphase, weil nicht ständige Präsenz nötig ist“, sagt sie.

Anders als bei einem „gewöhnlichen Bürojob“ könnten Eltern ihre Anwesenheit an der Uni und Kinderbetreuung gut aufeinander abstimmen. Nötig sei allerdings, das weiß HU-Präsidentin Kunst, die Mutter dreier Kinder ist, eine gute Kinderbetreuung. Am Ende so manchen Tages hatte sie als junge Mutter dann aber doch ein schlechtes Gewissen ihren kleinen Kindern gegenüber, erinnert sie sich.

Kunst, die, seit sie im Amt ist, überdurchschnittlich viele Professorinnen an die HU berufen hat, erlebt unterschiedliche Frauen: solche, die trotz Kindern uneingeschränkt einsatzbereit, höchst produktiv und verlässlich sind. Und solche, die sich eine längere Familienphase ohne wissenschaftliche Arbeit gönnen. Andere hängen die Wissenschaftskarriere an den Nagel, weil sie den Konkurrenzdruck nicht mehr mitmachen wollten. Und wiederum andere, weil sie Selbstzweifel hätten: Schaffe ich das? Bin ich gut genug?

Und dann ist da noch die Frage nach der Umzugsbereitschaft, wenn am anderen Ende der Republik eine attraktive Stelle lockt. „Das ist für junge Frauen, vor allem für Mütter, oft eine Herausforderung“, sagt Kunst. Aber auch viele Männer ziehen nicht gern um, sie pendeln stattdessen. Was tun?

Eigentlich bessere Chancen

Die HU und andere Universitäten unterstützen mittlerweile „double careers“. Bei der „Doppelkarriereförderung“ werden die Partnerin oder der Partner am neuen Arbeitsort sozusagen mit „versorgt“. Dass es dem Partner gut geht, insbesondere in dessen eigener Berufslaufbahn, scheint jedoch vor allem die Frauen zu interessieren.

„Frauen verhandeln meist härter für ihre Männer, als das Männer für ihre Frauen tun“, sagt Sabine Kunst, „wir bekommen Frauen oft nicht, weil wir die Bedingungen für ihre Männer nicht erfüllen können.“ Zugespitzt formuliert: Wenn es für den Mann an der Seite der künftigen Professorin keine gute Stelle gibt, lehnt sie den Posten schon mal ab. Männer tun das eher selten.

Kunst findet das bedauerlich. „Wir versuchen trotzdem, die besten Frauen zu uns zu holen“, sagt sie. Und die hätten bei „gleicher Qualifikation per Gesetz immer bessere Chancen als Männer, insbesondere in Fächern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind“, sagt sie.

Wie kann weiblichen Selbstzweifeln begegnet werden? Wie können Frauen die gläserne Wissenschaftsdecke durchstoßen? Oberrätin a. D. Schultz hat ein Idee: „Frauen brauchen einen starken Mentor.“ Und Frauennetzwerke, weiß HU-Präsidentin Kunst: Frauen an der Spitze holten andere Frauen nach.

Eine Frage bleibt trotzdem offen: Wie kann man Frauen mehr für sogenannte MINT-Fächer interessieren: Mathematik, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften, Technik. Zahlreiche Initiativen wie der „Girls’ Day“ und „Macht mehr MINT“ setzen bereits zu Schulzeiten an, doch sie wirken kaum. Mädchen und Frauen sind nur schwer für Studienfächer wie Mathe, Chemie, Physik, Informatik zu gewinnen. Aber genau dort haben Frauen derzeit besonders gute Chancen.

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6 Kommentare

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  • Immer wieder ein (leider) wichtiges Thema. Ein korrigierender Hinweis: Die Heinreich-Heine Universität Düsseldorf hat seit November 2014 eine Rektorin.

  • "Wie kann man Frauen mehr für sogenannte MINT-Fächer interessieren: Mathematik, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften, Technik."

     

    Da habt ihr die Ursache für euren "Gender Pay Gap"

  • 20% Professorinnen: wie schon geschrieben wurde, ist eine der Ursachen die Dauerstellen, die laufen 30 Jahre. Mit Zeitverträgen wäre das nicht passiert. Aber die möchte ja auch keiner. Zurecht.

     

    Schaut man sich Stellenbesetzungen der letzten Jahre an, ist die Prozentzahl deutlich höher, oft wird Parität erreicht, auch in vielen Fächern, in denen die BewerberInnenlage nicht 50% 50% ist.

     

    Übrigens. Leitungspositionen haben 18% Frauen. Das ist weniger als ein Fünftel und die Minderheit, aber ob die -2% den dramaturgischen Wortwechsel in dem Artikel und der Überschrift rechtfertigen, sei dahingestellt.

     

    Und WissenschaftlerInnen arbeiten typischerweise auch nicht nach Tarifarbeitszeit, sondern gerne mal 60-80h/W. Das möchte nicht jede in Kauf nehmen.

  • Ohne Frage sollte man dieses Gefälle in den Professorenstellen kritisch begleiten und beobachten. Aber was ich in solchen Analysen immer vermisse (und auch hier) ist die zeitliche Komponente. Wenn noch 1995 nur 31% der Promovierenden Frauen waren, dann finde ich es leicht nachvollziehbar, warum heute auch nur eine Minderheit der Unis von Frauen geleitet wird: 20 Jahre ist eine durchaus realistische Zeit für den Aufstieg bis zur Uni-Spitze und daher dauert das "durchsickern" halt Jahrzente, bis die Spitzenjobs auch gefüllt sind.

     

    Ohne Frage gibt es auch weiterhin sexistische Professoren oder andere hemmende Faktoren, aber ich wenn man den zeitlichen Faktor nie anspricht, der sicherlich einen großen Teil der Verschiebung erklären kann, finde ich das einfach eine mangelbehaftete Analyse.

     

    Von daher gehe ich davon aus, dass beispielsweise in meinem MINT-Fach mit einer Studentinnenquote von kleiner 10% es in den nächsten 50 Jahren noch viel zu wenig Professorinnen geben wird: Hier muss man erstmal Studentinnen gewinnen.

  • Da haben wir's! Das Bild ist Schuld. Es ist „nach wie vor wirkmächtig“, das „Bild des männlichen Professors“, und wo es still aber erfolgreich vor sich hin wirkt, kann sich offenbar kaum jemand, der einen Leitungsposten an einer deutschen Uni zu besetzen hat, ihm widersetzen.

     

    Ich finde es traurig, wie Frauen – zumal solche mit Einfluss – ihre männlichen Kollegen in Schutz nehmen. Nein, Frau Oberrätin a. D. Schultz, Sie sind nicht verpflichtet, die armen Kerle rauszureden. Die haben ihre Verantwortung gewollt. Nun müssen sie es sich gefallen lassen, dass sie daran erinnert werden. Es hat ihnen schließlich nie jemand versprochen, dass nur Geld und Ehre damit verbunden sind.

     

    Und noch einmal zum Mirmeißeln: Nein. Es ist nicht Aufgabe der Frauen, Männer zur Auswahl weiblicher Führungskräfte zu veranlassen. Es ist Aufgabe der sogenannten „Entscheidungsträger“, Stellen attraktiv zu machen für Frauen. Und wenn das bedeutet, dass die Stellen sicher und familienfreundlich werden, damit frau ihre Familie nicht nur ernähren, sondern auch erleben kann, dann haben die Entscheidungsträger genau dafür zu sorgen, verdammt noch mal!

     

    Oberrätin a. D. Schultz ist 70 Jahre alt. Sie kann nichts dafür, dass sie in einer Zeit erwachsen geworden ist, in der männliche Machtstrategien (moralischer, finanzieller und sonstiger „Druck“) die einzig wahren gewesen sind. Dafür allerdings, dass sie offenbar bis heute nicht nach vernünftigen Alternativen dazu sucht, kann sie etwas.

     

    Spätestens, wenn der (gebildete, intelligente) Mensch merkt, dass seine Strategien (Victim blaming etc.) nicht verfangen, sollte er anfangen, an ihnen zu zweifeln. Oberrätin a. D. Schultz zweifelt weder an ihren Strategien noch an sich selber. Sie zweifelt nur an jenen Frauen, die sie zu Führungskräften machen will. Die, glaubt sie, bräuchten „einen starken (und offenbar männlichen) Mentor“. Lächerlich! So wird das nie was werden! Dafür wissen Frauen heute viel zu gut, was sie wollen, weil es gut für sie ist.

    • @mowgli:

      finde ich völlig falsch. Eine Führungsposition, die nicht nur einen 3-Mann-Betrieb meint, wird es einfach nicht ermöglichen, dass man seine Familie so erlebt, wie es bei einer normalen Arbeitnehmerstelle der Fall ist. Dafür verdient man mehr und darf bestimmen.

       

      Um ganz nach oben zu kommen, muss der Beruf Vorrang vor der Familie haben, denn es gibt genügend Leute, die entsprechende Opfer zu bringen bereit sind und daher den Vorzug erhalten - egal ob Mann oder Frau. Zum Beispiel, weil sie gar keine Familie haben oder so in ihrem Beruf aufgehen, dass er ihnen das Wichtigste ist.