Kommentar Julian Assange: Abschließen unmöglich
Bald verjähren drei von vier Straftaten, die Julian Assange vorgeworfen werden. Trotzdem ist er kein freier Mann – weil er nie vor Gericht stand.
W ird sich das Leben von Julian Assange jetzt ändern? Wird er sich wieder frei bewegen können? Auf die Straße gehen, wo auch immer? Im Biergarten sitzen, wann auch immer? An den Badesee fahren, mit wem auch immer?
Wohl kaum. Auch wenn am Donnerstag und am kommenden Dienstag drei von vier Tatvorwürfen wegen sexueller Belästigung und Nötigung, die gegen den Wikileaks-Gründer in Schweden erhoben worden sind, nach fünf Jahren verjähren, dürfte Assange nach wie vor in der Ecuadorianischen Botschaft in London festsitzen. Dorthin war er 2010 geflohen, um einem europäischen Haftbefehl zu entgehen. Er gilt zwar als „Botschaftsflüchtling“, lebt aber eher wie ein Gefangener. Verlässt er die Botschaft, schnappen die Behörden, die ihn suchen, zu.
Warum, wo doch die Vorwürfe gegen ihn jetzt keine juristische Rolle mehr spielen? Es gibt noch eine andere Anschuldigung: Vergewaltigung. Und die verjährt erst nach zehn Jahren, in Assanges Fall also 2020.
Ein schwieriger Fall. Für die Justiz. Für Assange. Für die Frauen, die ihn angezeigt haben. Ob nun mit oder ohne Verjährung — es scheint, als ob es in diesem Fall nur VerliererInnen gibt. Wie soll das auch anders sein? Niemand weiß, was genau vorgefallen ist, als der Australier 2010 bei einer Vortragsreise in Schweden mit den Frauen zusammentraf. Es steht Aussage gegen Aussage: freiwilliger Sex gegen Nötigung und Vergewaltigung.
Was passiert ist, lässt sich nur schwer klären, solange der Mann nicht angehört wird. Eine intensive Befragung aber hat bislang nicht stattgefunden. Das wiederum hat ebenfalls mit dem Verfahren zu tun.
Causa Kachelmann
Das erinnert ein wenig an die Causa Kachelmann. Dem Wettermoderator wurde 2010 Vergewaltigung mit schwerer Körperverletzung vorgeworfen. Das hat Kachelmann abgestritten. Doch im Gegensatz zu Assange landete Jörg Kachelmann vor Gericht. Das Ergebnis ist bekannt: Der Mann wurde freigesprochen. Seine Schuld konnte nicht bewiesen werden.
Der Kachelmann-Prozess allerdings hatte den Vorteil, dass der Fall irgendwann ad acta gelegt werden konnte. Die Beteiligten können sich wieder anderen Dingen zuwenden. Das ist wichtig, denn das Leben geht für alle weiter — auch wenn das lapidar klingt.
Emotional und psychisch hingegen wird der Vorgang die Betroffenen sicher noch lange beschäftigen. Opfer physischer und psychischer Gewalt leiden mitunter ihr Leben lang an den Folgen. Das ist in jedem Fall dramatisch, aber keine Sache des Gerichts mehr.
Causa „Mattress Girl“
Auf der anderen Seite gehen auch zu Unrecht Beschuldigte nie unbeschadet aus einem Verfahren heraus. Das durfte gerade ein junger Deutscher erleben, der in Amerika von einer Kommilitonin beschuldigt worden war, diese vergewaltigt zu haben.
Der Fall des „Mattress Girl“ ging durch die Medien und die sozialen Netzwerke: Emma Sulkowicz, das vermeintliche Opfer, hatte die Matratze, auf der die Vergewaltigung stattgefunden haben soll, als Anklage stets mit sich getragen.
Zu Unrecht, wie die Universität entschied: Dem deutschen Studenten konnte nichts nachgewiesen werden. Damit ist er zwar „freigesprochen“, aber das hilft ihm derzeit nur marginal. In den USA braucht er sich beispielsweise gar nicht erst um einen Job zu bewerben — sein Name ist dort überall bekannt. Und in Deutschland? Er wird es sehen.
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