Kommentar Homophobie im Fußball: Ein verhängnisvolles Urteil
Das sächsische Sportgericht sieht eine herabwürdigende Frage nach dem Schwulsein eines Spielers als „fußballtypisch“ an. Eine fatale Begründung.
E ine leider nicht seltene Szene im Männer-Amateurfußball: 7. Liga, Dezember 2018, der Rote Stern Leipzig (RSL) ist beim SV Naunhof 1920 zu Gast. Als ein RSL-Spieler während der Manndeckung einem Naunhof-Spieler nah kommt, wird dieser auf herabwürdigende Weise gefragt, ob er schwul sei und anschließend als „Schwuchtel“ und „Arschficker“ beleidigt. Der Rote Stern Leipzig berichtet dies gegenüber dem Online-Portal Belltower.News und reicht beim Sportgericht Beschwerde ein.
Das Sächsische Sportgericht meint dazu: Die Frage nach dem Schwulsein sei „gerade noch als fußballtypisch anzusehen“ und stelle „kein tatbestandsrelevantes, sportwidriges Verhalten dar“. So wird ein Urteil vom 10. März 2019 begründet, das der taz vorliegt. Da die anderen Äußerungen vom Spieler bestritten werden, wird das Verfahren „wegen Unverhältnismäßigkeit der Verfahrensfortsetzung eingestellt.“
Diese Urteilsbegründung ist ein fatales Signal. Sie zeigt erneut, dass die Grammatik des Männerfußballs von einer Abwertung von Weiblichkeit und Nicht-Heterosexualität durchzogen ist. Und sie zeigt erneut, dass Hass auf Homo- und Bisexuelle im Fußball, insbesondere im Amateurbereich, häufig nicht ernst genommen wird.
Der aktuelle Fall ist sogar besonders problematisch. Eigentlich lässt die extreme Assoziation von Fußball und Männlichkeit fast jedes Verhalten als männlich erscheinen, zeigt die Kulturwissenschaftlerin Almut Sülzle in einer Studie zum Thema. Umarmungen und Berührungen zwischen Männern gelten auf dem Fußballplatz und auch im Fanblock als vollkommen selbstverständlich.
Wer sich also in einer intensiven Kontaktsportart von Berührungen anderer gestört fühlt, sollte nicht nur überlegen, ob er die passende Sportart betreibt, sondern auch einmal überlegen, woher diese Sorge kommt. Hier wäre tatsächlich einmal der Begriff Homophobie passend, dessen analytischer Gehalt sonst eher als gering zu bewerten ist.
Wenn so ein Vorfall dann vom Sportgericht in dieser Weise relativiert wird, kann dies verhängnisvolle Folgen haben. Der Fall zeigt exemplarisch eine mangelnde Sensibilisierung von Spielern, Schiedsrichtern und Funktionären. Er verweist auf eine Fußballkultur, die nur extrem limitierte Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht akzeptiert. Darauf, dass schwule und bisexuelle Spieler noch immer versteckt und in Angst vor der Entdeckung leben sowie LGBT-Personen in den Fanszenen weiterhin marginalisiert sind. Die aktuelle Urteilsbegründung ist dafür natürlich nicht alleine verantwortlich. Sie ist allerdings ein Baustein gegen eine progressive Entwicklung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr