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Kommentar Hamburgs Linken-ChefinRänkespiele auf Sandkastenniveau

Kommentar von Marco Carini

Dora Heyenn hat für ein tolles Ergebnis der Hamburger Linken bei der Bürgerschaftswahl gesorgt. Die Missgunst einiger Genossen ist ein Desaster.

Gekippt: die Fraktionsvorsitzende der Hamburger Linkspartei Bild: dpa

H AMBURG taz Wenn Dummheit schmerzen würde, die Fraktion der Hamburger Linken würde derzeit laut schreiend durch das Rathaus laufen. Da wollen einige Abgeordnete – viele schon lange im politischen Geschäft – ihrer beliebten Chefin, die gerade ein tolles Wahlergebnis im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf geholt hat, einen kleinen Dämpfer verpassen, damit nicht ganz abhebe.

Zuerst stellt man ihr gegen ihren Willen eine gleichberechtigte Doppelspitze an die Seite und dann, damit die Botschaft noch ein wenig klarer wird, beschließen einige Abgeordnete ihr auch für den verbliebenen Posten nicht die Stimme zu geben, damit ihr Ergebnis nicht zu donnernd ausfällt.

Da gleich mehrere Fraktionsmitglieder auf diese famose Idee kommen und sich untereinander nicht abstimmen, ist das Resultat verblüffend: Die Chefin, Dora Heyenn heißt sie, wird nicht zur Fraktionsvorsitzenden gewählt und ist auch, nachdem man ihr versichert hat, man habe das ja gar nicht so gemeint, unwillig erneut zu kandidieren. Stattdessen verlässt sie am Tag danach überraschend die Fraktion, die ihr das Vertrauen nicht mehr aussprach.

Chefin weg, Abgeordnete weg und in den sozialen Netzwerken und professionellen Medien geht ein Shitstorm über die neue Fraktion hernieder. Von Wählertäuschung und Königinnenmord ist die Rede. Vier Jahre bestach die Hamburger Linke in der Bürgerschaft durch ein professionelles, intrigenfreies und konstruktives Miteinander. Innerhalb nur einer Woche hat sie dieses Image, das ihr im Februar solide 8,5 Prozent Wählerstimmen einbrachte, nachhaltig demontiert und steht nun vor einem Scherbenhaufen.

Dora Heyenns Schritt ist nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar aber ist das Verhalten der Mehrheit der Fraktion, die ihr die Unterstützung versagte. Die Kritiker Heyenns haben amateurhaft taktiert und beispiellos überzogen. Ränkespiele auf Sandkastenniveau. Den Denkzettel, den sie verteilen wollten, hätten sie selber verdient.

Und mehr noch: Die sechs, die Heyenn aus der Fraktion trieben, sollten sich überlegen, ob sie nicht die Verantwortung für das Wahldesaster übernehmen und ihre Mandate niederlegen. Nur so ist ein wirklicher Neuanfang möglich. Geschieht das nicht, wird die Fraktion auf Dauer mit dem Makel leben müssen, die Politikerin, der sie ihre Existenz in dieser Stärke überhaupt erst verdankt, hinterrücks gemeuchelt zu haben.

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Hamburg-Redakteur
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24 Kommentare

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  • Ich kenne keinen der Abgeordneten persönlich. Um einschätzen zu können, was nun wirklich los war und welche Bedeutung dies hat, kann ich mich nur an die SACHLICHEN Fakten halten. Wenn ich nach BILD-Niveau gehe, dann benutze ich Klischees, wie "Verräter", "Königskiller", "werden nie was reißen", "Postengeschacher", "Kuschelkurs Linke Liste", was man hier alles so dahin gesagt findet.

    Wer macht sich bitte mal die Mühe, die Fakten vom beliebigen Anschein zu trennen?

    Zuerst muss man sich vom Verhältnis zu den Linken an sich lösen, ob man die nun gut, oder schlecht oder wie auch immer findet, sollte keine Rolle spielen. Dann sollte man nur die Vorgänge bewerten, ohne moralische Ansprüche einzelner zu konstruieren (Frau Heyen wird tlw. ein Anrecht auf den alleinigen Fraktionsvorsitz eingeräumt und es wird unterstellt, dass viele Wähler nicht die Linken, sondern vor allem Frau Heyen gewählt haben)

    Aber ohne diese Beziehungskisten ergibt sich ein anderes Bild:

    1. Es wurden durch die Wahl 11 Mandate für die Linken erreicht.

    2. in einer geheimen und demokratischen Wahl wurde eine Doppelspitze für den Fraktionsvorsitz gewählt.

     

    Das ist schon alles in der ersten Runde.

     

    3. nach der Interpretation des Wahlergebnisses hat Frau Heyen sich entschieden, die Fraktion zu verlassen.

     

    Nun haben die Wähler zwar 11 Linke gewählt, aber es sind plötzlich bloß noch 10.

     

    Die Wähler können nicht entscheiden, wer den Fraktionsvorsitz erhält, das können nur die Fraktionsmitglieder.

    Wer hat nun den Wählerwillen ausgehebelt?

    Diejenigen, die ihre persönliche Entscheidung bei der Wahl des Fraktionsvorsitz getroffen haben?

    Oder diejenigen, die für die Linken gewählt wurden, aber Ihr Mandat nun allein vertreten?

    Die Linken wurden sicher auch wegen Frau Heyen gewählt, aber Frau Heyen auch, weil Sie bei den Linken war.

    Es ist sicher schwer zu verstehen, warum dies so ist, aber dann muss man doch nach dem unerwarteten Ergebnis miteinander reden, und nicht davonlaufen.

  • Wenn man sich zurück erinnert, wie die Wahl zur Spitzenkandidatin gelaufen ist, dann war da schon der Wurm drin im Verhältnis. Nun, sie bleibt jetzt der Partei ja indirekt erhalten, denn sie macht als unabhängige Abgeordnete weiter, und sie bleibt in der Partei. Wenn die paar Idioten, die sie rausgemobbt haben, die Konsequenzen zeihen, und zurücktreten, denke ich, steht einer besseren Zusammenarbeit in der Zukunft noch weniger im Weg.

  • Die Linke wurde/wird bestimmt nicht auf Grund der zur Debatte stehenden Gesichter gewählt. Sie wird gewählt, weil alle anderen Parteien sich gegenseitig darin zu überbieten versuchen, wer jetzt am nächsten in der Mitte ist. Die Linke steht links, das reicht. Sie stellt einen Gegenpol zur heimeligen wir wollen doch alle das gleiche Pseoudo-für-die-Menschen-Politik der anderen etablierten Parteien. Wobei ich nie verstanden habe was die Mitte einer Gesellschaft sein soll. Geht das nach Gehalt, Alter, Geschlecht, Fussball, Lieblingseissorte oder was?

    So liebe HH-Linke jetzt zeigt nach diesem Sinnlosschauspiel bitte wofür ihr da seid!

    • @Spider J.:

      "Wobei ich nie verstanden habe was die Mitte einer Gesellschaft sein soll. Geht das nach Gehalt, Alter, Geschlecht, Fussball, Lieblingseissorte oder was?"

       

      Das geht nach Mittelmaß.

    • @Spider J.:

      Doch - Gesichter spielen eine große Rolle. Politik hängt auch immer mit den Fähigkeiten der Überbringer von Politik zusammen. Ob wir wollen oder nicht, so funktioniert es bei der Mehrheit der Menschen.

      Schau mal zurück, zu den Wahlerfolgen der Beust-CDU. Hätte die CDU diesen Erfolg auch ohne von Beust gehabt?

    • @Spider J.:

      Ja? Und nun spielt abseits von den Mitgliedern schön basisdemokratisch der Vorstand mal einfach Vorstandsbingo und kickt jemanden heraus, die einen "Kuschelkurs mit der 'Liste Links', einer linkssektiererischen Gruppe" (Wortlaut taz) fährt. - Hallo HaHa-Linke - Willkommen in der Olaf-Scholzen-Mitte würd ich da mal sagen.

    • @Spider J.:

      auch bei der Linken werden Wahlen über Personen entschieden. Der linke Wähler macht sich vielleicht mehr Gedanken als der CSUler wo es nur auf die passende Amigofresse_in ankommt. Aber im Großen und Ganzen läuft das ähnlich. Und da ist das schon bissle dumm...

  • Ich finde aber auch Frau Heyenns Reaktion völlig überzogen und kindisch, wenn die anderen Fraktionsmitglieder direkt danach gesagt haben, dass das nur ein Versehen war. Dilettantisch war es allemal, aber eben auch demokratisch. Das hat sich noch nie ausgeschlossen.

    • @Age Krüger:

      Die wollten nur spielen!

       

      Das machen die sonst nie!

  • Was für ein bizarres Demokratieverständnis zeigt hier der Kommentator Marco Carini?

     

    So stelle ich mir das bei den Deutschnationalen vor, beim 'Stahlhelm' oder so.

    Irgendwelche demokratisch gewählten Abgeordneten sollen ihr Mandat niederlegen, weil sie - in einem ebenfalls demokratischen Verfahren - einen Entschluss getroffen haben, der Carinis Bedürfnis nach Hierarchien und Personalisierung nicht befriedigt. Absurd.

     

    Scherbenhaufen?

    Die Legislaturperiode fängt ja gerade erst an. Wäre ich Hamburger Wähler würde ich die Fraktion am Ende nach ihrer faktischen Leistung beurteilen - und nicht danach, wer angeblich den Wahlkampf gewonnen hat und dann nicht "Chef" geworden ist.

     

    Sandkastenniveau.

    • 6G
      64938 (Profil gelöscht)
      @Eric Manneschmidt:

      Was für ein bizarres Demokratieverständnis offenbart denn ihr Kommentar?

      Sie stellen pateiinterne Taktiken über das Votum der Wahler, die durch die Wahl von Frau Heyenn erst den schönen Erfolg der Partei moglich gemacht haben?

      Also ist die "Parteifemokratie" wichtiger als die Wahl selbst?

      • @64938 (Profil gelöscht):

        Sie haben das nicht verstanden. Die Wähler haben insgesamt 11 Leute von der Linkspartei ins Parlament gewählt.

        Alles andere ist Interpretation.

    • @Eric Manneschmidt:

      Solche Vorständler, die in autokratisch ohne Diskussion mit den Mitgliedern einer Partei mal eben einen Vorstand demontieren und dies auch noch als "dumm gelaufen" abtun gehören abgewählt.

    • 6G
      64938 (Profil gelöscht)
      @Eric Manneschmidt:

      Was für ein Demokratieverständnis haben Sie denn, Hr Manneschmidt. Ich würde mal behaupten, das ein großer Teil der Linken-Wähler eben jene geschasste Dora Heyenn gewählt hat - das ist hier die Demokratie. Und nicht das widerliche, pateiinterne Postengeschacher, das wir aus anderen Parteien so satt haben!

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Tja, wird man aus Schaden nun klug? Bleibt abzuwarten... Vielleicht wird man so wenigstens die Dilettanten los.

  • Etwas zur Wortwahl: Die Frau war nicht "Chefin" der Fraktion, sondern deren Vorsitzende. Merke: Solche Gremien von gewählten Mitgliedern (Fraktion, Betriebsrat, Aufsichtsrat, ...) haben keinen Chef, sondern einen Vorsitzenden, der die Sitzungen des Gremiums vorbereitet und leitet und es nach außen vertritt, der aber im übrigen keine besonderen Rechte gegenüber den anderen Mitgliedern hat, sondern mit ihnen gleichberechtigt ist.

     

    Wann lernen die Journalisten das endlich? Aber Chef hört sich ja peppiger an.

    • @mr. fantasy:

      Natürlich hat Mr. Fantasy Recht. Ein Chef ist Weisungsbefugt. Das ist ein Fraktionsvorsitzender sicherlich nicht. Basta @KABOOM:)

    • @mr. fantasy:

      Der Fraktionsvorsitzende ist der Chef der Fraktion. Ende der Geschichte.

    • @mr. fantasy:

      Es soll ja offizielle und inoffizielle Rollen in der Politik geben. Ein offiziell Vorsitzender kann sich inoffiziell sehr wohl als Chef gebaren...

      • @Dhimitry:

        Joh. Kommt oft genug vor.

        Auf lange Sicht interessanter bleibt, was für eine Politik die nun machen werden.

  • Die Linke stellt sich häufig selbst ein Bein. In diesem Fall ohne Not. Unverständlich. So werden sie nie wirklich was reißen.

  • Ein Beleg mehr, das bei den Linken "die Uhren auch nicht andersherum gehen" als in irgend einem sonstigen gesamtdeutschen Einheitsparteibrei.

    • @jörg krauss:

      Zumindest ist das Demokratiedefizit in der Fraktion ähnlich wie bei jenen, die (fast) das gesamte politische Spektrum als Einheitspartei wahrnehmen.

      • @Verkehrsfritze:

        Ach. Erklären Sie mal, wo Sie da ein Demokratiedefizit ausmachen.