Kommentar Hackerangriff auf Bundestag: Notwendige Schocktherapie
Nicht einmal der Bundestag kann seine IT schützen. Aus dieser Erkenntnis können Abgeordnete und auch die Wählerinnen und Wähler nur lernen.
E s ist gut, dass es Hackern gelungen ist, den Bundestag virtuell einzunehmen. Und es ist wichtig, dass den Cyberkriminellen nicht nur ein kleiner Coup gelungen ist, sondern ein Angriff, dessen Ausmaße niemand abschätzen kann und von dem offensichtlich keiner weiß, wie er zu stoppen ist.
Warum das gut sein soll? Weil sich vielleicht jetzt die gewählten VolksvertreterInnen endlich einmal ernsthaft und konsequent damit beschäftigen, was die digitale Revolution für unser Zusammenleben, für die Struktur und Organisation unserer Gesellschaft bedeutet.
Trotz aller Warnungen sehen viele Abgeordnete in der Digitalisierung weiterhin überwiegend eine Heilsbringerin, die uns Innovation und Wohlstand beschert. Und es ist mit und dank der neuen Techniken auch vieles besser und einfacher geworden. Aber in diesem Rausch der unendlichen Möglichkeiten wird zu wenig diskutiert, ob diese atemberaubenden Dynamiken des digitalen Fortschritts allen zum Nutzen sind oder sich nicht doch nur wieder Großkonzerne daran bereichern.
Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, was die Kosten dieser Durchdigitalisierung des Lebens sind, was es für unsere Individualität, letztlich für unsere Freiheit und demokratische Verfassung bedeutet. Es ist nämlich noch lange nicht ausgemacht, ob am Ende der digitalen Revolution tatsächlich ein besseres Leben steht.
Staat als Sicherheitsrisiko
Ist es ein Gewinn an Unabhängigkeit und Flexibilität, wenn immer mehr Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit über ihre digitalen Endgeräte erreichbar sind? Ist unsere Welt wirklich sicherer geworden dadurch, dass Bewegungsbilder und Kommunikationsdaten im Namen der Terrorbekämpfung gesammelt und gespeichert werden? Oder wird im Gegenteil der Staat gerade selbst zum Sicherheitsrisiko? Eben weil, wie die Cyberattacke auf den Bundestag belegt, auch staatliche Institutionen inklusive ihrer Geheimdienste sich nie hundertprozentig werden schützen können.
Je länger die PolitikerInnen sich dem Spiel der freien Marktkräfte hingeben, desto größer die Gefahr, dass auch der Bundestag irgendwann feststellt, dass es zu spät ist. Und die Gesellschaft längst in der Hand jener ist, die die ganze Welt beherrschen. Und zwar nicht mit Hilfe von Drohnen, Panzern und Bomben. Sondern über den Zugang zu Milliarden Daten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag