Kommentar Grundeinkommen Finnland: Übertriebene Heilserwartungen
Die an das bedingungslose Grundeinkommen geknüpften Hoffnungen könnten enttäuscht werden. Denn es bringt auch Gefahren mit sich.
F innland ist weltweite Aufmerksamkeit sicher, denn am 1. Januar startet dort ein einzigartiges Experiment: Das Land führt das bedingungslose Grundeinkommen ein. Schon wird spekuliert, dass in Finnland eine neue Ära anbrechen könnte, die die Wirtschaft 4.0 einläutet. Endlich würden nur noch die Maschinen arbeiten, während die Menschen ihre Freizeit genießen.
Diese Heilserwartungen sind übertrieben. Das Experiment ist denkbar bescheiden, denn es nehmen nur 2.000 Arbeitslose teil – und vor allem soll es kein Geld kosten. Die Finnen schichten nur ihren Sozialetat ein bisschen um.
Die Arbeitslosen erhalten nämlich ungefähr genauso viel wie vorher – 560 Euro im Monat plus Wohngeld. Einziger Unterschied: Falls sie einen Job annehmen, wird der Verdienst nicht mehr mit der staatlichen Hilfe verrechnet, sondern sie können das Grundeinkommen behalten. So soll getestet werden, ob die Arbeitsmotivation steigt oder sinkt, wenn die Basisversorgung garantiert ist.
Doch letztlich geht es gar nicht um die Arbeitslosen – sondern um die Sozialverwaltung selbst. Die liberal-konservative Regierung will herausfinden, wie sich der Verwaltungsaufwand reduzieren lässt. Denn eine bedingungslose Leistung hat den Vorteil, dass sie nicht permanent individuell überprüft werden muss.
Es könnte also eine relativ unspektakuläre Win-Win-Geschichte sein: Die Arbeitslosen profitieren ein bisschen, weil Zuverdienste nicht sofort auf die staatliche Hilfe angerechnet werden. Und die Verwaltung wird schlanker.
Doch man sollte die Gefahren nicht unterschätzen. Ein Grundeinkommen kann schnell dazu genutzt werden, soziale Leistungen auf dieses garantierte Minimum zu senken. Deutschland hat es vorgemacht, wie man ein Kürzungsprogramm zulasten der Ärmsten sprachlich aufhübscht: Hartz IV wurde auch verkauft als „der Einstieg in die Grundsicherung“.
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