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Kommentar Grünes AsyldebakelDas mieseste Bild

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Ein Nein zum neuen Asylrecht oder das Ja zu erzielten Fortschritten: Beides wären grüne Positionen. Doch die Partei laviert sich ins Chaos.

Grün mit ein bisschen gelb, ein bisschen rot, ein bisschen schwarz. Der Grundton verschwimmmt. Bild: photocase/jock+scott

W as für ein grandioser Erfolg für die Grünen: Die Residenzpflicht, diese menschenverachtende Regel, die Flüchtlinge dazu verdammt hat, jahrelang in Lagern irgendwo in der Walachei zu versauern – abgeschafft! Das Arbeitsverbot, das Asylbewerber auf Dauer zu Bittstellern degradiert – verkürzt! Die Versorgung der Flüchtlinge nur durch Gutscheine, die es ihnen nicht einmal erlaubt hat, auf ihren Tellern einen letzten Rest von Selbstbestimmtheit und Würde zu wahren – vom Tisch!

Drei zentrale Forderungen der Flüchtlingsbewegung haben die Grünen auf einem ihrer identitätsstiftenden Politikfelder der schwarz-roten Bundesregierung abgerungen. Wie groß dieser Schritt auch für die andere Seite ist, zeigt ein kurzer Blick in Onlineforen. Dort wundert sich die CDU-Basis, dass ihre Partei so etwas mitträgt, und kotzt sich über die Toleranzigkeit von Linken aus.

Und was machen die Grünen? Nein, sie feiern nicht. Sie streiten. Nicht wie immer, sondern stärker.

Das ist nicht falsch. Im Gegenteil. Denn die Grünen haben einen hohen Preis bezahlt. Man kann sagen: einen zu hohen. Drei Balkanstaaten gelten nun als sichere Herkunftsländer. Das trifft vor allem die Roma, die damit jetzt auch ganz offiziell als Flüchtlinge zweiter Klasse klassifiziert wurden – mit dem Segen der Grünen. Und genau deshalb muss die Partei streiten. Lautstark, mit aller Leidenschaft.

Weil sie an exakt diesem Punkt zeigen kann, was sie von anderen unterscheidet, wofür sie noch gebraucht wird: um entscheidende Fortschritte für Minderheiten zu erzielen. Oder um Grenzen aufzuzeigen, um die Diskussion über Einschränkung eines Grundrechts mit einem kategorischen Nein zu kontern. So oder so. Beide Positionen hätte die Partei – naturgemäß bei ordentlichem Gegrummel der jeweils Unterlegenen – als profilbildende grüne Politik verkaufen können. Wenn, ja wenn sie sich nach schmerzhafter Diskussion zu einer Position hätte durchringen können.

Nur eins geht gar nicht: dass erst die obersten Parteigremien ein Angebot der Bundesregierung als „zynisch“ ablehnen, einen Tag später ein Landesfürst mit einem „Mir doch egal“ diese „zynische“ Politik Gesetz werden lässt – und dafür auch noch ein offizielles Hintertürchen von seiner Partei bekommt. Denn das bestätigt nur wieder mal das mieseste Bild, das man von den Grünen haben kann: ein konturloser Haufen.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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7 Kommentare

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  • Wie hier schon andere anmerkten, eine Partei kann nicht beides sein, bürgerbewegt und Kaderpartei. Woran leiden die Grünen? Ein machtorientierter Bundesvorsitzender des rechten Flügels mit Migrationshintergrund, ist dabei die Partei zu zentralisieren. Dann stimmt, was Berlin beschlossen hat, darf Stuttgard nicht aushebeln. Nicht formlos, sondern eher kantig ist eine bürgerbewegte Partei der starken Landesverbände.

     

    Ich persönlich habe Residenzpflicht, Arbeitsverbot und Gutscheine für so unveränderlich gehalten, wie 1989 die SPD-Führung die innerdeutsche Mauer. Und das bei einer Bevölkerung, die immer konservativer wird. Seit Jahren bleiben die Werte für die CDU stabil, die Stimmen, die man bei den Piraten gesehen hat, landen jetzt bei einer AfD, die auf die Ängte der Masse baut.

     

    Wo ist der Paradigmenwechsel der Partei? Soll Serbien auf die Liste oder nicht? Laut grünem Programm, nein laut tiefster Überzeugung aller den Grünen nahe stehenden Menschen muss die Drittstaatenregelung als Gesetz,ja selbst als Idee verschwinden. Asyl, was heißt das? Erst schleichend, dann offen und agressiv wurden Gegner der Nazis in den 1930er Jahren verfolgt. Dabei ging es um nichtstaatliche (1920-1933) Verfolgung, die im Ausland (Schweiz) nicht wirklich als Verfolgung anerkannt wurde.

     

    Das Bundesrepublikanische Asylrecht möchte sich daher am Völkerrecht messen, nach den Chinesen vor allem auch das Recht auf Leben bezüglich der Grundversorgung mit dem Lebensnotwendigen sehen. Kretschmann lehnt nicht das Asylrecht für Roma ab, sondern beugt sich einer erdrückenden Mehrheit, die jegliche Zuwanderung fürchtet.

    • @mdarge:

      Da liegen Sie in einigen Punkten falsch.

       

      Ein Parteivorsitzender, der nicht "machtorientiert" denkt, ist fehl am Platz. Im übrigen ist nicht Özdemir das Problem, sondern der Umstand, dass die Partei nach dem Bundeswahldebakel glaubte, alle rhetorisch begabten, charismatischen Führungsleute in die Wüste schicken zu müssen und zudem noch über das "falsche Wahlkampfthema" (Steuererhöhungen für Spitzenverdiener) lamentierte, obwohl es zuvor in allen Umfragen auf Zustimmung stieß. Das derzeitige Führungsquartett (Partei und Fraktion) sind zweifellos kluge Köpfe - aber weder sie selbst noch ihr Umfeld sehen leider ein, dass das in einer Mediendemokratie nicht reicht. Ohne Rhetorik und Ausstrahlung geht's einfach nicht.

       

      Und, liebe® MDARGE: "laut tiefster Überzeugung aller den Grünen nahe stehenden Menschen muss die Drittstaatenregelung als Gesetz, ja selbst als Idee verschwinden"? Das können Sie sicher nicht belegen; auch unter Grünen und Nahestehenden gibt es zweifellos selbständig denkende Menschen. Wir müssen in der Tat alle aufnehmen, die in der Heimat verfolgt oder bedroht werden. Aber denen, die zu uns kommen wollen, weil sie in der Heimat diskriminiert werden oder keine Perspektive sehen, sollten wir mit massivem politischen Druck auf ihre nichtsnutzigen Regierungen helfen, oder indem wir aufhören, ihrer heimischen Wirtschaft mit unserer Export- und Fischereipolitik die Grundlage zu entziehen. Wenn Sie die Nazi-Flüchtlinge als Vergleich heranziehen: Die Weltbevölkerung hat sich seitdem mehr als verdreifacht, die Anlässe für Flucht oder Auswanderung werden immer mehr, und eine Besserung ist nicht abzusehen. Deshalb hat Kretschmann recht.

  • 4G
    4613 (Profil gelöscht)

    Kommentar TAZ Partei Debakel

     

    Was für ein grandioser Erfolg für die TAZ! Mehr und mehr Leser, mehr und mehr Genossen.

     

    Was macht die TAZ? Sie zieht über die Parteien her. Das ist nicht falsch. Alle Parteien machen Fehler. Die CDU, die SPD, die Linken, die Grünen, die AfD. Keine kommt gut weg bei der TAZ.

    Das ist um, denn Journalismus soll ja nicht ausschließlich von guten Dingen berichten, sondern auch Probleme aufzeigen.

     

    Nur eins geht garnicht: Wenn kann eine ganze Partei, die übrigens tatsächlich aus einzelnen Mebschen besteht, über einen Kamm schert und als konturlosen Haufen bezeichnet. Noch dazu die einzige Partei, die überhaupt Aktiv diejenige Politik betreibt, die man selbst gut findet. Die einzige Partei, die eben genau das tut: mit sich selbst Kritisch auseinandersetzt, alles in Feage stellt und diskutiert - um die bestmögliche Politik zu machen, und bei der am Ende immerhin was rauskommt. Nix perfektes. Aber eben das bestmögliche, und das offen und ehrlich - und kein bissle schöngeredet.

     

    Kommentar gekürzt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

  • Ich fange mal mit Ihrem letzten Absatz an, Gereon Asmuth, und sage: Zum Kotzen, dass selbst ein Journalist die Parteiräson über die Sache und die Gewissensentscheidung stellt. (Genau das werfe ich z.B. gerade Herrn Gabriel in Sachen TTIP vor.)

     

    Ich denke, angesichts der Zahlen von Kriegs- und Verfolgungsflüchtlingen, die wir gerade zu verzeichnen haben und die vermutlich noch wachsen werden, ist die Entscheidung von Herrn Kretschmann nachvollziehbar: Menschen, die hier "nur" eine bessere Lebensperspektive suchen (was legitim ist!), ob vom Balkan oder aus Westafrika, müssen in der Priorität zurückstehen. Ich würde gegen die Abschiebung jeder Roma-Familie, die hier seit Jahren halbwegs integriert lebt, auf die Straße gehen. Trotzdem müssen wir den vielen, die schon die Koffer packen und für die Schleusung sparen, eine Perspektive bieten, indem wir z.B. ihren unfähigen Regierungen (auch denen innerhalb der EU!) heftig und wirksam auf die Finger klopfen.

     

    Auch die empörungsfähigsten Grünen werden irgendwann einsehen müssen, dass wir nicht alle Diskriminierungs- und Armutsprobleme auf dem Globus dadurch lösen können, dass wir alle Benachteiligten in ein paar europäischen Ländern aufnehmen, denn mit den Menschen importieren wir auch die Probleme. Wir müssen mehr investieren, um vor Ort zu helfen (notfalls, sage ich ausdrücklich, auch mit Gewalt gegen korrupte Regime), und auch auf manche brutale Exportpraxis, die die örtliche Wirtschaft kaputt macht, verzichten.

  • Gereon Amuth verwechselt da was: Es handelt sich hier nicht um die GED (Grüne Einheitspartei Deutschlands), bei dem das ZK bestimmt, welche Linie auch die Landesvertreter zu vertreten haben ...

  • Der Preis für das Verhalten des grünen Ministerpräsidenten werden gefolterte und getötete Menschen sein. Denn früher oder später werden Menschen gefoltert oder getötet werden, denen dies Schicksal erspart geblieben wäre, hätte Kretschmann nicht die Schwächsten der Schwachen gewählt, um sich auf ihrem Rücken zu profilieren. Früher nannten die Grünen solche Politiker Menschenverächtler, heute nennen sie sie MP und Parteifreunde.

  • Wer eine irgendwie geartete linke Reformpolitik betreiben will, verliert jedes Mal bei so einer Verhandlung. Dass diese Runde hier im Kern eine Anti-Roma-Runde war, das wissen die Grünen und deswegen sorgt das auch für Unmut. Schön - all die Sachen. Aber das Problem ist doch, dass seit Anfang der 1990er eine konstante Entwicklung gegen Asylgewährung in Gange ist. Die SPD hat bei den Petersberger Beschlüssen sofort enorm viel Glaubwürdigkeit verloren - ähnliches droht jetzt den Grünen.

     

    Das wird passieren, schon weil einige an der Spitze denken, dass man aus dem Erbe der FDP für sich was rausschneiden kann. Nun verelendet keine Partei ohne Grund - das hält aber anscheinend einige nicht davon ab, sich um dieses Resterbe zu bemühen.

     

    Das ergibt dann schnell das Bild einer Partei, die eigentlich nur noch für eine saturierte Schicht von links-liberalen Bürgerlichen wählbar ist. Und das könnte sich schon in Hamburg, einer grünen Hochburg rächen. Hier tritt die Partei schon mit ziemlich bürgerlichen, saturierten Leuten an, denen in der Opposition die Lust auf die Macht immer stärker in den Kopf steigt.

     

    Ich glaube, dass dieser EU-Markt eine Delle bei den Menschenrechten abbekommen hat. Warum leisten sich sogar EU-Mitgliedsstaaten regelrechte Ausgrenzungsstrategien gegen Minderheiten - allen voran die Roma? Warum darf in Ungarn eine Art Nazipartei (Regierunge)Politik (mit)machen? Dies ist doch nur der erste Schritt - langfristig wollen viele EU-Staaten die Freizügigkeit beschränken oder abschaffen.