Kommentar Grüne und die Wirtschaft: Date mit dem Daimler-Chef
Darf Dieter Zetsche auf einem Grünen-Parteitag reden? Hinter der Empörung vieler Grüner verbirgt sich ein tiefliegender Konflikt.
G lücklich ist eine 11-Prozent-Partei, die solche Probleme hat. Darf Daimler-Chef Dieter Zetsche (!) auf dem Bundesparteitag der Grünen (!!) reden (!!!)? Sollten Ökos einem Mann zuhören müssen, der 6-Zylinder-Dieselmotoren in tonnenschweren S-Klassen verkauft? Oder ist es im Zweifel angebracht, pfeifend den Saal zu verlassen?
Das sind Fragen, die die Grünen von heute wirklich bewegen, und eine Antwort, die man darauf haben könnte, wäre diese: Ein Grußwort von Zetsche ist nicht gerade spielentscheidend, um nicht zu sagen: herzlich egal. Wenn die Partei 2017 mitregieren möchte, wird sie mit noch viel fragwürdigeren Figuren reden müssen als mit Vorstandsvorsitzenden deutscher Großkonzerne.
Positionen von Andersdenkenden anzuhören und auszuhalten hat noch niemandem geschadet, im besten Falle entwickelt sich daraus sogar eine anregende Debatte. Die Aufregung steht also in einem erstaunlichen Missverhältnis zur Relevanz des Vorgangs. Eine selbstbewusste Partei hätte anders auf die Idee des Vorstands reagiert. Cooler, gelassener, nicht so überbordend nervös.
Und hier wird es interessant, denn in Wirklichkeit geht es bei den Grünen nicht um 15 Minuten Zetsche, sondern um ihre Zerrissenheit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wer einen kontroversen Gast einlädt, sollte wissen, wo er selbst steht, um klug mit ihm streiten zu können. Leider ist das bei den Grünen nicht mehr der Fall.
Die Ökopartei hat in relevanten Politikfeldern ihre Linie verloren, ihr fehlt die innere Verortung. Die einen wollen der Wirtschaft nach wie vor politisch Grenzen setzen, wo ihr Gewinnstreben der Gesellschaft schadet. Die anderen fördern lieber die friedliche Kooperation – wissend um die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik.
Wie das geht, zeigt Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg: Er kämpfte in der Erbschaftssteuerdebatte für absurde Privilegien schwerreicher Firmenerben, nicht für verschuldete Länder und Kommunen. Er genehmigte Riesenlastwagen auf Autobahnen, weil Daimler das wünschte, obwohl im Koalitionsvertrag das Gegenteil stand. Er stemmte sich im Bundesrat gegen ein Aus für Benzin- und Dieselautos im Jahr 2030.
Versöhnung bedeutet eben auch Konfliktvermeidung. Zetsche könnte sich keinen kooperativeren Ministerpräsidenten wünschen. Relevante Teile der Grünen parieren in der Praxis seit Langem, wenn Großkonzerne Interessen anmelden. Ein nettes Grußwort ist aus ihrer Sicht nur die konsequente Weiterentwicklung. Und die Wut der Zetsche-Kritiker ist auch deshalb so groß, weil sie diesem strategischen Kurswechsel bisher wenig entgegenzusetzen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe