Kommentar Grüne und Pädophilie: Aufklärer wider Willen
Beim Thema Pädophilie klagen Grüne durchaus mit Recht, hier werde ein altes Thema neu instrumentalisiert. Deshalb hätten sie längst für Transparenz sorgen sollen.
E ndlich. Endlich haben sich die Grünen dafür entschieden, ein schmutziges Kapitel ihrer Geschichte wissenschaftlich aufklären zu lassen. Ein prominenter Politologe der Göttinger Universität wird jetzt untersuchen, wie weit der Einfluss pädophiler Gruppen in der Partei in den 80er Jahren reichte.
Dieser Schritt ist nicht nur richtig, er war überfällig. Nur eine unabhängige Instanz kann diese unselige Verstrickung ein für alle Mal klären, nur sie besitzt die dafür nötige Glaubwürdigkeit
Dabei haben führende Grüne durchaus recht, wenn sie klagen, ein altes Thema werde im Bundestagswahlkampf neu gegen sie instrumentalisiert. Ja, es ist nicht das erste Mal, dass die Republik ausgiebig über schmierige Gruppen wie die Stadtindianer und Daniel Cohn-Bendits Sätze aus den 70ern streitet, die er heute als schlechte Literatur bezeichnet.
Ja, der Neuigkeitswert manch reißerischer Zeitungsseite ist überschaubar. Und ja, es ist völlig hirnrissig, der heutigen Partei dieselbe Distanzlosigkeit zu Pädophilie zu unterstellen, wie es sie damals gab.
leitet das Parlamentsbüro der taz in Berlin.
Die Pädophilie-Debatte böte reichlich Stoff für medienwissenschaftliche Seminare. Thema: Wie backe ich mir aus einem alten einen neuen Skandal? Doch reicht es als Grüner in diesem Fall nicht, auf mediale Erregungswellen zu schimpfen. Wenn die Gesellschaft immer wieder befremdet auf die Historie schaut, dann hilft nur Transparenz. Wenig hilfreich ist dagegen der Verweis, die alten Geschichten seien hinlänglich bekannt und im Übrigen in Archiven zugänglich.
Gerade die Tatsache, dass die Debatte die Grünen erneut einholt, belegt, wie nötig der Auftrag an die Universität war. Es ist einfach: Jede grüne Verteidigung steht im Ruch, pro domo zu argumentieren, während die Wissenschaftler die quälende Debatte beenden könnten. Und hier kommt die aktuelle Führung der Grünen ins Spiel.
Sie muss sich vorwerfen lassen, viel zu spät zu handeln. Und das Thema in der Vergangenheit dramatisch unterschätzt zu haben. Es gab seit den 80ern wahrlich genug Anlässe, um die Pädophilie-Verstrickung mit einer umfassenden, neutralen Studie aufzuarbeiten.
Doch auf diesen Gedanken sind die Grünen, die anderen gerne Intransparenz vorwerfen, nie gekommen. Nun bleibt ein unschöner Eindruck: Die Grünen mutieren nur deshalb zu engagierten Aufklärern, weil sie Schaden im Wahljahr fürchten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu