Kommentar Glyphosat-Urteil: Toxisches PR-Desaster
Der Wert von Bayer ist nach Gerichtsurteilen um ein Viertel eingebrochen. Das zynische Geschäftsmodell des Konzerns wird immer klarer.
Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“, heißt es ja eigentlich. Im Falle des Unkrautmittels Glyphosat aber muss man die alte PR-Regel umdrehen: Gute Nachrichten sind schlechte Nachrichten. Denn eigentlich hat Bayer vor dem US-Gericht in San Francisco einen juristischen Sieg errungen. Die Richterin verringerte die Strafzahlung gegen das Unternehmen um fast eine Viertelmilliarde Dollar. Bilanztechnisch gesehen könnte das Unternehmen aufatmen. Bayer stehen in den USA noch Tausende Schadensersatzklagen nach dem Vorbild von Dewayne Johnson bevor. Man könnte rechnen, mit den Rückstellungen, die der Konzern dafür gebildet hat, sei Bayer gut aufgestellt.
Doch diese Logik verfängt nicht einmal mehr an der Börse. Der Aktienkurs des Unternehmens fiel gestern um 12 Prozent, seit dem ersten Urteil im August ist der Unternehmenswert an der Börse um fast 25 Prozent eingebrochen, und das, obwohl Bayer nur 5 bis 8 Prozent seines Umsatzes mit Glyphosat bestreitet.
Die Zahlen belegen eindeutig, welch faules Ei sich der Chemieriese mit Monsanto in den Konzern geholt hat. Das schlechte Image des Glyphosatherstellers war das größte Gegenargument für die Übernahme. Als die Pläne vor zwei Jahren bekannt wurden, sagte Bayer noch, dafür hätte man eine Strategie. Inzwischen muss man fürchten: Es gab nie eine. Es ist noch nicht einmal zwei Wochen her, da wies Bayer-Chef Werner Baumann die Vorwürfe von Umweltschützern scharf zurück. „Dank Glyphosat wird die Menschheit satt“, behauptete er in einem Interview und bezeichnete die Kritik an dem Herbizid als Geschäftsmodell, um Spenden zu bekommen. Nun wird klar, welches Geschäftsmodell Bayer verfolgt: ein äußerst zynisches, wenn es ein Medikament vertreibt, das eine Krebsart heilt, zu deren Auslöser sehr wahrscheinlich Glyphosat zählt.
Trotz des langjährigen mit Gutachten prall aufgeblasenen Streits, ob und wie krebserregend Glyphosat ist: Der Tag an der Börse zeigt, wie wenig es inzwischen noch darauf ankommt, wer am Ende recht hat – Bayer oder die Bayer-Kritiker? Um das Image des weltweit meistgenutzten „Pflanzenschutzmittels“ ist es geschehen. Das sollte auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zu denken geben. Seit April ist sie die Einlösung des Versprechens schuldig geblieben, die Glyphosat-Nutzung in Deutschland zu beenden. Bisher existieren nicht einmal Grundzüge eines Ausstiegsszenarios. Vielleicht sollte sie sich ein Beispiel an Hessen nehmen, wo gerade Wahlkampf geführt wird. Dort setzt Schwarz-Grün bereits einen Plan um, wie man ohne das Gift auf den Äckern auskommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin