Kommentar Globale Konflikte: Jenseits der Friedensbewegung

Die traditionelle Friedensbewegung hat ihr Weltbild zu selten aktualisiert. Wer sich in dem Feld engagiert, kann sie getrost entschlafen lassen.

Das waren noch Zeiten für die Friedensbewegung. Ostermarsch in der Nähe von Wittstock, 1998. Bild: ap

Die meisten Kriege finden weit weg in Afrika statt. Dennoch verstärkt sich in Deutschland das Gefühl, dass das Leben erheblich unsicherer geworden ist. Das hat mit einem neuen Krieg in nächster Nähe, nämlich in der Ukraine, zu tun. Und mit den Millionen Menschen, die aus ihren Ländern flüchten müssen.

Noch nie, so die Vereinten Nationen, gab es so viele Vertriebene. Und selten war die UNO so ratlos, wie sie angesichts eines von China oder Russland und gelegentlich auch den USA blockierten Sicherheitsrates auch nur etwas mehr Frieden in die Welt bringen könnte. Sind das nicht beste Voraussetzungen für eine neue Friedensbewegung?

Offenbar nicht. Die unter dem Label „Friedenswinter“ versuchte Wiederbelebung ist kläglich gescheitert, ihre Mahnwachen wurde spielend von rechts unterwandert. Man muss kein Nostalgiker sein, um zu finden, dass die Bewegungen gegen die Stationierung US-amerikanischer Raketen oder den Irakkrieg diese schlecht informierten Enkel nicht verdient haben. Und trotzdem eine gewisse Verantwortung für sie tragen.

Denn auch die zurechnungsfähigen Friedensbewegten, die heute in Friedensforschungsinstituten, in der Linkspartei oder bei den Grünen arbeiten, haben ihr Weltbild zu selten aktualisiert. Manche verdrängen beharrlich, dass das heutige Russland mit der Sowjetunion so wenig zu tun hat wie die USA mit den einstigen Deutschlanderziehern unter Truman und Eisenhower.

Andere sind immer noch nicht in der multipolaren Welt angekommen; wieder andere haben die Arabellion glatt verpasst und die Strukturmerkmale der Postdemokratie nicht durchdrungen. Genau deshalb erscheint ihnen die vertraute Schablone des Kalten Krieges so attraktiv.

Doch wie an den Debatten über die Ukraine prima zu sehen ist: Populistischer Historismus ist keine Lösung. Eine auf die Verteidigung von Menschenrechten basierte Flüchtlingspolitik indessen erlaubt Orientierung auf der Höhe der Zeit. Denn sie verbindet internationale Politik mit nationalen und lokalen Belangen, politische Theorie mit praktischem Engagement vor der Haustür, eine auf Friedenssicherung ausgerichtete Entwicklungspolitik mit einer zeitgemäßen Migrationspolitik.

Wer sich in diesem Feld engagiert, kann die traditionelle Friedensbewegung getrost entschlafen lassen. Denn die braucht wirklich kein Mensch.

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leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

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