Kommentar Gewalt in Ägypten: Das Militär steht bereit
Wenn die Gewalt in Ägypten nicht aufhört, dürfte das Militär handeln. Und das könnte heißen, dass es auch seine jahrzehntealte Machtposition reklamiert.
D ie ägyptische Opposition muss eine dunkle Ahnung gespürt haben, dass es am zweiten Jahrestag des Umsturzes nicht viel zu feiern geben würde. Deswegen hatte sie angekündigt, sich nicht an Versammlungen zu beteiligen. Was dann aber kam, dürfte sie auch in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorhergesehen haben: 21 Todesurteile gegen Fußballrowdys aus Port Said treiben das Land am Nil in die Nähe eines Bürgerkriegs mit unabsehbaren Folgen.
Die Verurteilten sollen für das Blutbad unter Anhängern des Kairoer Fußballklubs al-Ahly vor einem Jahr verantwortlich sein. Ihre Freunde aber argwöhnen Willkürjustiz des neuen Regimes und werfen den Sicherheitskräften Untätigkeit vor. Gewaltsame Auseinandersetzungen mit Dutzenden von Toten und Hunderten von Verwundeten in Port Said, Suez und Kairo sind die Folge.
Wie schon bei der Revolution vor zwei Jahren und bei den Protesten gegen die neue Verfassung im Dezember zeigt die Polizei, dass sie nicht Herr der Lage ist. Das Militär wird aktiv, wenn auch bislang nur durch demonstrative Präsenz. Diese Taktik dürfte aber an Wirkung verlieren, wenn in einigen Teilen des Landes tatsächlich der Ausnahmezustand verhängt werden sollte. Wenn die Gewalt dann nicht aufhört, dürfte das Militär handeln.
„Handeln“ könnte aber bedeuten: nicht nur die Unruhen zu beenden, sondern auch die jahrzehntealte Machtposition zu reklamieren, auf die die Streitkräfte letztes Jahr nur widerwillig verzichtet haben.
Peter Philipp ist Nahostexperte und Autor der taz.
Die Militärs könnten sich dabei als Garanten eines demokratischen Prozesses präsentieren und mit einiger Sicherheit auf Teile der liberalen Opposition wie auch auf Anhänger des alten Regimes zählen. Beide sind gegen die Macht der Muslimbrüder; und sie werden verstärkt durch die Enttäuschten, die sich von der Revolution eine Verbesserung der Lebensbedingungen erhofft hatten. Eine Hoffnung, die sich bisher nicht erfüllt hat.
Und die sich zumindest so lange nicht erfüllen wird, wie das Volk so gespalten ist wie jetzt. Die Unruhen sind weit mehr als Protest nach den Todesurteilen wegen der Fußballkrawalle; sie zeigen die tiefe Zerrissenheit der Bevölkerung über die Zukunft des Landes. Weder das neue Regime noch die Opposition werden diese Kluft verringern. Der Armee kann dies erst recht nicht gelingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos