Kommentar Gesetz zur Dritten Option: Eine historische Chance vergeben
Das Gesetz zur dritten Geschlechtsoption ist zu restriktiv: Er macht ärztliche Diagnosen zur Bedingung – und ist so selbst diskriminierend.
S tatt „weiteres“ nun also „divers“. Sonst bleibt alles gleich. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den von Fachverbänden viel kritisierten Gesetzentwurf des Innenministeriums zur sogenannten dritten Option angenommen. Familienministerin Giffey lobt das Papier als „modernes Gesetz zur Anerkennung und Stärkung von geschlechtlicher Vielfalt“. Justizministerin Barley (beide SPD) sagt, es gehe „um Würde und positive Identität“. Nur Horst Seehofer, CSU-Minister des federführenden Innenministeriums, schweigt dazu.
An dem Gesetzentwurf ist wenig Gutes. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 2017 war eine kleine Revolution: Das Grundgesetz schützt auch die geschlechtliche Identität von Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Damit machte das Gericht den Weg frei für die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt.
Der vorliegende Entwurf indes setzt den Karlsruher Beschluss nicht um. Er knüpft die Möglichkeit eines dritten positiven Geschlechtseintrags an die Bedingung einer ärztliche Bescheinigung der „Variante der Geschlechtsentwicklung“. Warum? Das hat keinen Sinn. Hatte doch Karlsruhe klargestellt, dass das Grundgesetz die Geschlechtsidentitäten aller Menschen schützt, die weder männlich noch weiblich sind. Und die Identität ist nun mal immer mehr als nur körperliche Merkmale.
sind Pressereferentin und -referent für Community Building bei der Bundesvereinigung Trans*.Der Verband wurde 2015 als Interessenvertretung für transgeschlechtliche Personen gegründet.
Wenn es um Würde und positive Identität geht, müssen die betreffenden Personen für sich selbst entscheiden dürfen. Es gibt intergeschlechtliche, transgeschlechtliche Menschen – und das sollte als selbstverständlich anerkannt werden, auch ohne ärztliche Bescheinigung.
Seit Jahren formulieren Interessenverbände Kritik an den Verfahren, mit denen Inter*Menschen ins System der Zweigeschlechtlichkeit gepresst werden. Jetzt werden sie anerkannt, aber immer noch müssen Ärzt*innen ihre Existenz bescheinigen. Leuchtet nicht ein. Vielleicht ist es kein Zufall, dass das federführende Ministerium selbst nicht so recht weiß, was es dazu sagen soll, und schweigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs