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Kommentar Frankreichs AußenpolitikVon wegen souverän

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Auf Druck der Nato stoppt Präsident Hollande die Lieferung zweier Kriegsschiffe an Russland. War es das mit Frankreichs Rolle als Weltmacht?

Wie souverän ist Frankreich noch im Kreise der Nato-Partner? Bild: reuters

I n letzter Minute hat Frankreich beschlossen, den von Wladimir Putin bestellten und bereits einsatzbereiten Hubschrauberträger „Wladiwostok“ nun doch nicht wie geplant im Oktober an Russland auszuliefern. Das ist eine weise Entscheidung, auch wenn sie der französischen Rüstungsindustrie womöglich schwerwiegende Nachteile einbringt.

Da der Konflikt im Osten der Ukraine trotz Diskussionen über einen Waffenstillstand weiter zu eskalieren droht, ist es nicht vernünftig, das Risiko mit einer solchen Aufrüstung einer beteiligten Seite zu vergrößern. Wer den Frieden will, soll nicht den Krieg schüren!

Wer sich mit den technischen Daten des mit modernster Technologie ausgestatteten Kriegsschiffs befasst, begreift sehr schnell, wozu ein solcher Hubschrauberträger in einem Konflikt wie in der Ukraine oder anderen Anrainerstaaten des Schwarzen Meers dienen kann und soll.

Diese Schiffe der Mistral-Klasse, von denen Moskau vorerst zwei in Auftrag gegeben (und vorsorglich auch gleich bereits bezahlt) hat, können kaum als defensive Waffen deklariert werden. Sie sind dagegen ideal für Landeoperationen im Rahmen einer schnellen Intervention in einem Nachbarland.

Der Kontext der Ukraine-Krise und die absehbaren Konsequenzen waren im Fall der beiden Schiffe aus der westfranzösischen Atlantikwerft von Saint-Nazaire so offensichtlich, dass François Hollandes Versuche, auf Zeit zu spielen, um den Vertrag zu retten, zum Scheitern verurteilt waren.

Er konnte ganz einfach nicht zum Nato-Gipfel reisen und sich dort vor seinen westlichen Partnern zeigen, die ihn wegen der bevorstehenden Lieferung des offensiven Kriegsschiffs alle schief angeschaut oder offen der Verletzung der Sanktions- und Embargopolitik beschuldigt hätten. Da Frankreich ein Vertragsbruch mit Russland sehr teuer zu stehen kommen dürfte, schmecken ihm die Gratulationen der Nato-Partner in Newport aber bitter. Er weiß, wie wütend die Werftarbeiter sind, die ihren Job verlieren könnten.

Dem Druck gebeugt

Ebenso klar ist es, dass sich Frankreich zuletzt eben doch dem Druck der Nato gebeugt hat. Die USA, Großbritannien und mehrere osteuropäische und baltische Staaten hatten Frankreichs Inkonsequenz angeprangert. So gute Argumente es für den Verzicht auf Rüstungsgeschäfte generell und auf diesen Vertrag im Speziellen gibt, so kompromittierend ist für den französischen Präsidenten der dringende Verdacht, dass er den Nato-Pressionen nachgegeben habe. Und genau dieser Vorwurf kommt prompt jetzt von links und rechts.

Frankreich war ja nie ein folgsames, linientreues Nato-Mitglied wie Deutschland oder Großbritannien. Nationale Souveränität bedeutete nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Autonomie in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, die mit der unabhängigen Atombewaffnung, Frankreichs Force de frappe, ihr materielles Symbol bekam. Unter General de Gaulle, der eine blockfreie Außenpolitik vertrat, war Frankreich aus dem militärischen Nato-Kommando ausgetreten und ist erst nach dem Zerfall der Sowjetunion definitiv unter Nicolas Sarkozy zurückgekehrt.

Diese „atlantische“ Wende setzt Hollande mit einer Selbstverständlichkeit fort, die viele seiner Landsleute schockiert. Von einem „Verrat“ spricht Jean-Luc-Mélenchon von der französischen Linkspartei. Hollande vollende mit seinem Vertragsbruch Frankreichs Unterwerfung „unter die USA und die kriegerische Nato-Politik“.

Die notorische Putin-Verehrerin Marine Le Pen vom Front National schiebt den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen vor, um Hollandes antirussische Entscheidung zu verurteilen. Einen Bruch mit der Tradition beklagen aber auch Gaullisten wie Sarkozys Expräsidentenberater Henri Guaino. Andere Vertreter der bürgerlichen Opposition beklagen, Frankreich werde wortbrüchig und damit als Weltmacht unglaubwürdig. Statt Stärke gegenüber Putin demonstriere Hollande Schwäche. Oft sind es sogar dieselben, die Hollande mangelnde Entschlossenheit gegenüber Moskau vorwarfen und jetzt zu viel Loyalität mit Washington beklagen.

Mit seinem opportunistischen Einschwenken auf den Nato-Mainstream gegenüber Moskau hat Hollande also unvermeidlicherweise eine alte Polemik aufgewärmt. Realistisch ist es aber auch, sich zu fragen, ob Frankreich überhaupt heute noch das Potenzial hat, um einen eigenen Kurs zu steuern.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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12 Kommentare

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  • Und welche ökonomischen Vorteile hat Frankreich jetzt, wenn es von den NATO-Mitgliedern nicht schief angeguckt wird?

     

    Welche wirtschaftlichen Nachteile wären denn überhaupt zu erwarten gewesen, wenn Frankreich geliefert hätte? Welche Sanktionen wollte die NATO gegen Frankreich dann verhängen?

    • @Age Krüger:

      Der Titel des Artikels mit dem Wort "Souveränität" ist tatsächlich deplaziert. Politische und wirtschaftliche Argumente werden abgewägt. Marie Le Pen und Putin werden nicht zufrieden sein. Anscheinend zwei, die zusammenpassen.

  • Die Frage der Souveränität Frankreichs wirkt hier deplaziert, ebenso die Position Frankreichs innerhalb der NATO. Es war eine Abwägung zwischen ökonomischen Vorteilen der Waffenlieferung und politischen sowie militärischen Risiken. Hätte man geliefert, wäre Frankreich außenpolitisch innerhalb der EU extrem unglaubwürdig, doppelmoralig und alles andere als souverän. Militärisch ist Russland durch die Angriffe auf die Ukraine die eindeutig größte Gefahr für Frankreich, schickt man seinem Feind dann modernste Waffen? Unter diesen Umständen (populistisches Gemecker von links und rechts, extreme Unbeliebtheitswerte, ökonomische Rezession, hohe Verschuldung) halte ich die Entscheidung von Hollande für mutig und geradezu höchst souverän! Weltmacht ist Frankreich übrigens seit den 30er Jahren nicht mehr, sollte das dem Autor noch nicht aufgefallen sein.

  • Sinnvoll wäre es wahrscheinlich, die militärischen Fähigkeiten auch von Deutschland in Absprache wenigstens mit Frankreich (aber besser noch mit anderen Ländern) so auszubauen, dass man als eigenständige Kraft und nicht nur als (für die VS kostenlose) Hilfstruppe auftreten kann.

  • "...ist es nicht vernünftig, das Risiko mit einer solchen Aufrüstung einer beteiligten Seite zu vergrößern. Wer den Frieden will, soll nicht den Krieg schüren!"

    Außer, Deutschland macht das?

  • Ich dachte immer, Recherche gehört zu den Aufgaben von Journalisten. Der Vertrag ist nicht gekündigt. Hollande hat lediglich erklärt, dass die Auslieferung von der weiteren Entwicklung abhängt. Sollte es zum Waffenstillstand kommen, könnte das erste Schiff unter Umständen doch wie geplant am 1.11. offiziell übergeben werden.

     

    Übrigens:

     

    "Sie sind dagegen ideal für Landeoperationen im Rahmen einer schnellen Intervention in einem Nachbarland."

     

    Was will eigentlich Frankreich mit solchen Schiffen?

  • "Wer den Frieden will, soll nicht den Krieg schüren!" - so soll es sein, deshalb gibt es im September auch ein Nato-Manöver in der Ukraine, denn die Nato will ja nur den Frieden.

    • @Fotohochladen:

      Die ukrainische Regierung hat um Unterstützung gebeten. Etwas zumindest psychologische Unterstützung ist zwischen befreundeten Nationen am Platz.

  • Naja, Frankreich scheint ja gerade massive innenpolitische, aber vor allem wirtschaftliche Probleme zu haben und Le Pen steht quasi ums Eck. Für mich stellt sich dann mehr die Frage, ob und wenn ja was die EU usw. mit Hollande ausgehandelt haben, bzw. was in Aussicht gestellt wurde um zu erreichen das Schiff nicht auszuliefern...

  • Die NATO-Staaten sollten generell keine Waffen an Nicht-NATO-Staaten liefern. Nicht mal an alle "global partners", da gehört u.A. auch Afghanistan zu.

     

    Die EU sollte es genauso handhaben.

     

    Kostet ein paar Jobs, aber dafür dürfte mehr Ruhe sein. Wer ist schon so blöd und rüstet seine Feinde auf!

    • @Cededa Trpimirović:

      Mhm, die Kurden sind auch kein Natoland...

  • Na ja, wenn USA und Großbritannien demnächst wieder irgendein Land ausrauben, wie zum Beispiel Libyen, dann dürfen die Franzosen wieder eine Rolle spielen und werden wohl die Verluste wett machen.

     

    Das war wahrscheinlich die Drohung - Wir nehmen dich beim nächsten mal nicht mit, falls du mit Putin treibst!