Kommentar Flüchtlingssterben Lampedusa: Wohlfeiles Entsetzen
Zufrieden waren viele, als die Seenotrettung Mare Nostrum eingestellt wurde, denn sie wirke ja wie ein „Magnet“ für Flüchtlinge. Jetzt trauern wieder alle.
J etzt ist wieder einmal, wenigstens für ein paar Tage, Entsetzen angesagt. Wieder einmal wird Lampedusa zu Europas Leichenschauhaus, wieder einmal haben Menschen ihren Traum von einem besseren Leben mit dem Tod bezahlt.
Doch das Entsetzen wird schnell verfliegen, es wird – so steht zu befürchten – folgenlos bleiben. Noch vor einigen Monaten schien es, als käme Bewegung in die Diskussion über die europäische Flüchtlingspolitik. Auch in Deutschland fanden sich prominente Stimmen für die Fortsetzung der humanitären Rettungsaktion Mare Nostrum, auch in Deutschland wurde über eine europäisch koordinierte Aufnahmepolitik geredet.
Doch dann stellte Italien im letzten November Mare Nostrum sang- und klanglos ein. Und erneut findet sich die europäische Debatte auf dem Stand, auf dem sie vorher schon war: im Pingpong zwischen den beiden Polen „Flüchtlingsnotstand“ und „Flüchtlingskatastrophen“. Flüchtlingsnotstand herrscht pünktlich immer dann, wenn „zu viele“ kommen, wenn Bilder von überfüllten Lagern in Italien über die Bildschirme flimmern. Der erste Reflex ist dann jedes Mal Abwehr. Zufrieden waren denn auch viele europäische Staatskanzleien mit der Einstellung Mare Nostrums, weil die systematische Rettung ja recht eigentlich als „Magnet“ wirke, wie es immer wieder hieß.
Dann aber gibt es mit unschöner Regelmäßigkeit die Flüchtlingskatastrophen. Mare Nostrum war ein großer Fortschritt, weil es nicht auf Abwehr setzte, sondern auf systematische Rettung. Dieser Perspektivwechsel währte aber nur ein Jahr. Jetzt herrscht erneut Entsetzen, doch es ist wohlfeil: Es sind Italien und Europa, die den Flüchtlingen erneut den Rücken zugewandt haben – und so dafür sorgen, dass das Mittelmeer auch in Zukunft zum Massengrab wird.
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