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Kommentar Erdogans SittenpolizeiMacht und Realitätsverlust

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Geschlechtertrennung, Alkoholverbot, Polizeigewalt: Teile der türkischen Gesellschaft sind von Erdogan irritiert. Sein Allmachtswahn wird ihn entthronen.

Mein Park, mein Bauprojekt, mein Staat – denkt sich der türkische Premierminister Bild: dpa

W ar das der Tropfen, der das Fass nun zum Überlaufen bringt? Seit der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan vor einigen Tagen beschloss, Geschlechtertrennung unter Studenten und Studentinnen rigoros durchzusetzen, und auch nicht davor zurückschreckt, Polizei in Privatwohnungen zu schicken, fragt sich die türkische Öffentlichkeit, ob ihr Regierungschef nun endgültig den Kontakt zur Realität verloren hat.

Während ein harter Kern fundamentalistischer Anhänger Beifall klatscht, ist der größte Teil der Gesellschaft, auch ein großer Teil seiner eigenen Partei, mehr als irritiert über den neuerlichen Vorstoß Erdogans in die Privatsphäre der Gesellschaft.

Der Allmachtswahn des mittlerweile über zehn Jahre regierenden Islamisten kennt keine Grenzen mehr. Den Frauen schreibt er vor, wie viel Kinder sie bekommen sollen, den Erwachsenen, was sie trinken dürfen – nämlich Ayran statt Alkohol, und der Jugend, wie sie sich sittsam zu verhalten hat.

Doch der Aufstand rund um den Gezipark im letzten Sommer hat seine Gegner zusammengeschweißt, immer mehr einstige Anhänger haben von ihrem früheren Hoffnungsträger die Nase voll, und selbst engste ehemalige Weggefährten wie sein Stellvertreter Bülent Arinc und Präsident Abdullah Gül beginnen, sich von Erdogan abzusetzen.

Nach zehn Jahren als Regierungschef, von denen er die letzten fünf unangefochten autokratisch durchregierte, scheint Erdogan nun zu glauben, er könne das ganze Land einzig nach seinem Willen und seiner Vorstellung formen. Doch das ist mit der türkischen Gesellschaft längst nicht mehr möglich. Erdogan wird über kurz oder lang an seiner eigenen Hybris scheitern, wenn nicht schon bei den Wahlen im kommenden Jahr, dann während seiner Präsidentschaft.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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10 Kommentare

 / 
  • A
    ayse

    Erdogan wird nicht von 50% unterstützt. Seine Partei hat ca. 28%. Dazu kommen ca. 10% von nicht Anhaengern die sich nicht entscheiden konnten und der rest sind die Stimmen von allen Parteien die die 10% minimum Grenze nicht erreicht haben. Diese 50% Lüge ist eine psychologische Taktik. Für Erdogan ist jeder ein FEIND! der/die nicht auf seiner Seite ist.

  • O
    ottomansstilalive

    erdogan wird nicht scheitern , der Islam was wertvoller ist als alles weltliche ist wird nicht scheitern

    die Sicht ist zudem durc die demokratischen Wahlen legitimiert , und wenn sie nicht die Wahl der türkischen Bevölkerung respektieren , sind sie kein freund der Demokratie statt erdogan :))

    wer hier meint erdogan macht das aus dem Bauch heraus , liegt falsch. 50% der Türken unterstützen ihn und die zahl steigt noch an vermutlich auf 60 daher bitte die stimme der Türkei respektieren anerkennen

    • S
      Störtebekker
      @ottomansstilalive:

      Die Türkei kann machen was sie will. Aber wenn sie nach Europa will. hat sie unsere Werte zu achten. Wenn sie das nicht will, dann muß sie draußen bleiben. In Europa gilt: Freihei, Gleichheit, Brüderlichkeit. Damit ist es aber unter Erdogan sehr schlecht bestellt. Atatürk wollte eine europäische Türkei - Erdogan will ein türkisches Europa. OHNE UNS!!!! Null Bock auf Erdogan!!!

    • B
      Bera
      @ottomansstilalive:

      Schlaf weiter!

  • Au weia, Sittenpolizei?

    Ein schlechter Witz.

  • D
    Didana

    Bei den Wahlen im nächsten Jahr wird nichts passieren, weil sie nicht echt sind. Die AKP wird wieder gewinnen, auch wenn sie Keiner mehr wählt. Er entscheidet doch, wer der Wahlgewinner ist, sonst Niemand.

  • P
    PRO-ERDOGAN

    Nun sind wir mehrfach und ausgiebig über Erdogans Großmannssucht und seinen Realitätsverlust informiert worden. Auch sein Ende ist schon mehrfach propheziehen worden. Wer sollte denn, lieber Türkei-Kenner auf Erdogan folgen? Die Art-Performance der "Gezi-Bewegung" mag sich ganz toll in den Medien fügen, aber wer soll die Rahmenbedingungen für Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und infrastrukturellen Ausbau in Anatolien bereitstellen? Das lässt sich nicht mit einem Pappkarton in der Hand bewerkstellingen.

  • I
    ion

    "Erdogan wird über kurz oder lang an seiner eigenen Hybris scheitern, (....)",

     

    resp.: die Türkei an einer durch ihn propagierten Wirtschaftspolitik: einer auf tönernen Füßen stehenden Wirtschaft, die auf Gedeih & Verderb auf ausländische (, westliche) Kredite angewiesen ist, die zunehmend ausbleiben (werden).

    Der bei der Bevölkerung auf diesem Wege über Jahre erkaufte Stimmenfang, resp.: deren Zustimmung, Stillhalten, bewirkte nicht nur das Anfixen mit dem bekanntlich auch immer mit 'westlichen Werten', 'freiheitlichen' Leitbildern einhergehenden more-&-more-Konsum, sondern bedingte eben auch den eskalierenden Verfall 'islamischer Werte' – eine Entwicklung, die gerade auch aufgrund der geographischen Nähe zur EU antizipierbar war, wäre man nicht so verblendet, eitel und machtbesessen wie Erdogan & Co.. He himself hat das trojanische Pferd (Verbrauchsgüter-Konsum auf Kredit für alle, Klimbim-Shopping-Malls an jeder zweiten Straßenecke) in die Türkei gezogen; da stehen 'islamisch' erscheinende Behaviour-Vorschriften nur im Wege, ähnlich dem, wie in EU-Ländern 'christliche' Werte eben eher auch nur noch (romantische) Lippenbekenntnisse sind.

    Sein jetziges, nur noch mit harter Hand zu realisierendes Unterfangen dürfte vergebens sein, wenn er nicht auch noch einen Bürgerkrieg in Kauf nehmen wollte.

    Reingefallen — exeunt omnes.

  • "Erdogan wird über kurz oder lang an seiner eigenen Hybris scheitern, wenn nicht schon bei den Wahlen im kommenden Jahr, dann während seiner Präsidentschaft."

     

    Warum sollte jemand wie Erdogan überhaupt noch auf Wahlen setzen? Auch wenn man Erdogan nicht mit Merkel vergleichen kann, sollte man sich in Deutschland beizeiten schon mal überlegen, wie man Merkel und ihre Wirtschaftsunion noch gewaltfrei loswerden kann, bevor das garnicht mehr möglich ist.

  • "scheint Erdogan nun zu glauben, er könne das ganze Land einzig nach seinem Willen und seiner Vorstellung formen. Doch das ist mit der türkischen Gesellschaft längst nicht mehr möglich"

     

    Justiz, Presse und Polizei beherrscht er schon. Sein neuester Vorstoß -die Geschlechtertrennung- dienst einzig und allein der Provokation. Die Steigerung von Gezi lautet Ausnahmezustand, dem folgt das Kriegsrecht.

     

    Und das möglichst vor den nächsten Wahlen.

     

    Stimme Ihnen zu, dass er scheitern wird, jedoch nicht ohne zuvor noch Verwüstung anzurichten.