Kommentar Erbschaftsteuer: Die Wirtschaftslobby bestimmt

Das Reförmchen der Steuer ist mutlos. Die Koalition unternimmt keinen Versuch, das Auseinanderdriften von Arm und Reich zu verlangsamen.

Ein Sparschwein mit zwei Scheinen

Die Interessen der Superreichen werden geschützt – so kann ihr Sparschwein noch voller werden. Foto: dpa

Der Großen Koalition fehlt der Mut, die irrwitzigen Privilegien schwerreicher Unternehmenserben zu beschneiden. Wie groß das Versagen ist, zeigt ein Beispiel. Eine Tochter, die von ihren Eltern Aktien im Wert von 5 Millionen Euro erbt, muss knapp 900.000 Euro Erbschaftsteuer zahlen. Der Staat beansprucht also einen Teil ihres leistungslos erworbenen Reichtums, um Schulen, Straßen oder andere Aufgaben des Gemeinwohls zu finanzieren. Dieser Grundsatz ist finanzpolitisch sinnvoll und gerecht denen gegenüber, die nicht in den Genuss des Erbens kommen.

Anders sieht es bei der Tochter einer Unternehmerdynastie aus. Sagen wir, sie erbt das Zehnfache, einen Firmenanteil im Wert von 50 Millionen Euro. Diese Tochter zahlt keinen Cent Erbschaftsteuer, sofern sie die Arbeitsplätze ein paar Jahre lang erhält. Jetzt ist klar, dass das auch in Zukunft so bleiben wird: Die Koalition ignoriert eine geradezu groteske Ungerechtigkeit im deutschen Steuerrecht. Stattdessen beschränkt sie sich auf minimale Korrekturen, die die Interessen der Superreichen schützen. Die Reform, die stolz präsentiert wird, ist eine Scheinreform.

Sie könnte rein formal den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügen, das den Gesetzgeber mehrmals aufforderte, die Erbschaftsteuer zu ändern. Aber sie unternimmt keinen Versuch, das Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland zu verlangsamen. Solch ein Schritt war übrigens auch nie geplant. Für die SPD ist die Neuerung, die keine ist, eine Niederlage. Schließlich treten die Sozialdemokraten zumindest auf dem Papier für mehr Verteilungsgerechtigkeit ein.

Dem mutlosen Reförmchen der Koalition ging ein monatelanger Proteststurm mächtiger Wirtschaftsverbände voraus. Jene haben den Kampf gewonnen, ohne dass ihn die Koalition je ernsthaft begonnen hätte. Insofern ist die Posse um die Erbschaftsteuer auch ein trauriger Beleg dafür, wie sehr Wirtschaftslobbys die Politik von Union und SPD bestimmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.