Kommentar Energiewende: Freibrief für Großkonzerne
Die Arbeitsgruppe Energie der künftigen Regierung hat beschlossen: Sie stellt die Industrie unter Naturschutz. Weitere Entscheidungen wurden vertragt.
B itte setzen Sie sich wieder, es ist nichts passiert: Der Energiewende geht es den Umständen entsprechend gut. Die Arbeitsgruppe Energie der künftigen Regierung hat ihren Beitrag zum Koalitionsvertrag am Wochenende fertiggestellt, und was da unter Federführung von Hannelore Kraft (SPD) und Peter Altmaier (CDU) entstand, dürfte Arbeitsplätze bei diversen Lobbygruppen der Energiewirtschaft schaffen: Die wichtigsten Entscheidungen wurden vertagt; es gibt noch viel zu beeinflussen.
Vorweg die gute Nachricht: Abgewürgt wird nichts. Der entscheidende Satz zum Ausbau erneuerbarer Energien bleibt unangetastet, sie dürfen nach wie vor ihren Strom vor fossil befeuerten Kraftwerken ins Netz einspeisen. Die Windkraft indessen muss ein paar Kröten schlucken, aber das wird ihrem Image langfristig guttun. Beispielsweise sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Anlagen an Stellen gebaut werden, an denen sie wegen Netzüberlastung stillstehen werden. Nun sollen die Betreiber einen Teil des finanziellen Risikos selbst tragen.
Und was wird als große Reform verkauft? Dass Betreiber von Erneuerbare-Energie-Anlagen ab 2018 ihren Strom selbst an der Börse vermarkten müssen. Das aber tut bereits die Hälfte der Betreiber und ist dabei finanziell abgesichert – sie erhalten eine vernünftige Prämie.
Ansonsten stellt das Papier die Industrie weitestmöglich unter Naturschutz. Klimaschutz „darf nicht zum Nachteil für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehenden Industrie führen“. So klingt im Jargon der Parteipolitik ein Freibrief für Großkonzerne. Die teuren Offshore-Windanlagen sollen knapper ausgebaut werden – geschenkt, die Industrie schafft im Moment ohnehin nicht mehr.
Stromrabatt komt später dran
Alle anderen Entscheidungen, bei denen die Koalition hätte Mut beweisen müssen, wurden vertagt. Wie schafft man es, fossile Kraftwerke so zu entlohnen, dass sie als Reserve zur Verfügung stehen und nicht nur Geld kosten? Welche Industrie soll ihren Stromrabatt verlieren? Und auch kein Wort dazu, wie arme Familien von steigenden Energiekosten entlastet werden können.
Doch wer hoffte, eine Handvoll Koalitionäre setzt sich zwei Wochen zusammen und danach saust die Energiewende der Zukunft entgegen, hat die Möglichkeiten der AG vor der Regierungsbildung einfach überschätzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen