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Kommentar Ende Gelände und FFFSie stellen die Systemfrage

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Solange Dörfer vernichtet werden, damit Konzerne Profite maximieren, werden die jungen Menschen keine Ruhe geben.

Bunter Protest 21. Juni 2019 in Aachen Foto: dpa

W as für ein Erfolg für die Klimabewegung: Bis zu 40.000 Menschen auf den Straßen in Aachen und gut 6.000 Aktivist*innen, die sich über das Rheinland verteilt haben, um Aktionen zu starten, die alles andere als niedrigschwellig sind. Wer daran teilnehmen wollte, musste bereit sein, schwer bepackt mit Wanderrucksack und Schlafsack viele Kilometer zu Fuß zurückzu­legen und sich dabei selbst zu versorgen.

Wer es in den Tagebau oder auf ein anderes RWE-Grundstück schaffte, musste mit einer Strafanzeige rechnen oder, noch schlimmer, mit einer zivilrechtlichen Forderung durch den Energiekonzern. Das kann teuer werden. Bereits im Vorfeld hatte das Unternehmen einem Sprecher des Protestbündnisses Ende Gelände mit einer Forderung von 50.000 Euro gedroht. Doch der Einschüchterungsversuch lief ins Leere.

Dass so viele Menschen bereit sind, für ihr politisches Anliegen die Grenzen des Legalen zu übertreten, liegt auch daran, dass das Thema Klimagerechtigkeit aktuell Hochkonjunktur hat. Viele junge Menschen haben sich in den vergangenen Monaten der weltweiten Klimabewegung, die kein junges Phänomen ist, angeschlossen. Viele werden sich durch die Erfahrung im Rheinland weiter politisieren.

Nicht nur die Bewegung ändert sich durch den Zustrom der Jungen. Auch ihre Positionen, die in der gesellschaftlichen Mitte angenommen werden, haben sich verändert: Wenn brave Schülerinnen und Schüler heute von einem „Systemwandel statt Klimawandel“ sprechen, wenn sie also die Frage der Ressourcenverteilung stellen, dann hat dies ein anderes Gewicht, als wenn die altbekannten linksradikalen Anarchos das Gleiche sagen. „Wir müssen über den Kapitalismus reden“, formulieren die Schüler*innen heute. Es sind viele. Sie werden bleiben.

Einfache Fragen

In Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks und eines immer autoritärer werdenden Staates, der die Bürgerrechte stückchenweise abbaut, ist das ein wichtiges, ein progressives Gegengewicht. Was die aktionserfahrene und mittlerweile hochprofessionell organisierte linke Bewegung in vielen Jahren nicht geschafft hat, schafften die Schü­le­r*innen in kürzester Zeit: Sie tragen Forderungen, die einst als „linksradikal“ galten, in die gesellschaftliche Mitte.

Das kann auch damit zusammenhängen, dass diese Forderungen gar nicht so „linksradikal“ sind. Im Gegenteil: Es liegen ihr einfache Fragen zugrunde, die jeder beantworten können sollte, der über das Morgen nachdenkt. Wie bewahren wir eine Welt, in der wir auch morgen noch leben wollen und können? Dass diese Frage nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden wird, hat dieses Wochenende gezeigt. Die deutsche Bundesregierung sollte darauf sehr schnell eine Antwort entwickeln. Solange Dörfer vernichtet werden, damit Energiekonzerne ihre Profite maximieren können, werden die jungen Menschen keine Ruhe geben.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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13 Kommentare

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  • Einfach mal danke für den “periscope” live Bericht!

    www.pscp.tv/tazgez...YAMjzylGX?t=12m13s

    Guter Job! ;)

  • Leider hat die Politik viel zu lange keine Antworten auf die Klimafrage gegeben!



    Seit den 1980 ger Jahren ist bekannt, dass der menschengemachte Klimawandel ein Thema der Zukunft sein wird, genauso, wie es damals das Ozonloch war. Auch das Ozonlochproblem wurde Anfangs ignoriert, bis es fast zu spät war, etwas zu unternehmen!



    Erst als allen Entscheidungsträgern Bewusst wurde, dass etwas passieren muss, wurde FCKW verboten!



    Auch damals jammerte die Industrie ob der Kosten, die dadurch entstehen würden, letztendlich können aber alle damit leben, ohne große Einbußen hinnehmen zu müssen!

    Es ist im Prinzip genau das Gleiche, wie damals, nur dass die Probleme sehr viel umfangreicher sind, als damals mit dem FCKW!

    Leider hat die Politik es versäumt, weltweit dafür Sorge zu tragen, dass die Umweltpolitik eine Schlüsselpolitik bleibt oder wird!

    Hätte man damals begonnen kontinuierlich weiter daran zu arbeiten, dass die Umweltpolitik einen hohen Stellenwert bekommt und Innovationen permanent gefördert und gefordert worden wären, hätte man heute keinen Zwang alles über das Knie brechen zu müssen, was über Jahre wachsen hätte müssen!



    Viele Dinge lassen sich nicht mit ein oder zwei Gesetzesänderungen voran bringen, denn die Kosten würden diejenigen, die zur Zahlung auserkoren werden, völlig überfordern!



    Es steht für viele Politiker ja bereits fest, dass die normalen Bürger wieder vermehrt für die Kosten aufkommen sollen, Beispiel: CO2 Steuern!

    Wieder beginnt die Politik, wie auch schon bei der EEG Umlage, die Industrie von den Zahlungen weitestgehend auszunehmen, anstatt eben diese Hauptverursacher der Verschmutzungen zu Lösungen durch Innovationen auf ihre eigenen Kosten zur Verantwortung zu ziehen!

    Jahrzehnte lang wurden die Wirtschaft, die Industrie und das Aktien Kapital bei der Übernahme von Verantwortung für das soziale Zusammenleben dieses Staates entlastet und der Bürger belastete!

    Was wir brauchen ist die Übernahme von Verantwortung aller der hier Lebenden!!!

    • @urbuerger:

      "Seit den 1980 ger Jahren ist bekannt, dass der menschengemachte Klimawandel ein Thema der Zukunft sein wird"



      Das ist denen Scheißegal, vor 50 Jahren haben sie die 68er kriminalisiert, vor 40 Jahren haben sie uns kriminalisiert und nun kriminalisieren sie unsere Kinder.

      CDU/CSU/FDP/SPD die machen, was RWE/Vattenfall/Eon & EnBW ihnen vorgeben.



      Dafür werden ihre Hinterbänkler beruflich abgesichert.

      Das ist immer noch die selbe Bande von Bütteln und Dummschwätzern, mit denen es alle Generation bisher zu tun hatten, die eine bessere Zukunft für sich reklamiert haben.

  • Ich kann nur hoffen, dass durch die Klimaschutzbewegung auch dringende gesellschaftliche Fragen gestellt werden. Ich befürchte aber, dass Fragen der soziale Gerechtigkeit schon längst durch den Begriff des Rechtsrucks diskreditiert wurden, so dass sich dafür in Deutschland niemand mehr mobilisieren lässt. Weiterhin befürchte ich, dass die Forderungen der erwähnten „gesellschaftliche Mitte“ gut im bestehenden System eingehegt werden können und ihre Lösungen das neoliberale System nicht in Frage stellen werden.

  • Die ganze Welt schaut jetzt auf Deutschland und alle fortschrittlichen Kräfte applaudieren. Damit ist die Bewegung global geworden und wird noch effektiver. Besonders der gesellschaftliche Wandel in den asiatischen Staaten ist hier sehr bedeutsam.

    • @C.O.Zwei:

      "Die ganze Welt schaut jetzt auf Deutschland und alle fortschrittlichen Kräfte applaudieren."

      Wo haben Sie denn diesen Unsinn her?



      Die ganze Welt schaut auf Deutschland, um so zu leben wie die Menschen in Deutschland. Und das bezieht sich auf Lebensstandard und Konsum.

      Auch der Preußenkaiser dachte, dass am deutschen Wesen die Welt genesen muss. Wir kennen das Ergebnis.



      Solange wir international keine Verbündeten finden, die mit uns ein weltweites Umdenken und Umlenken beginnen, sieht es doch sehr übel aus. Schon in Europa innerhalb der EU gibt es nicht die geringste Einigung, wie und in welchem Maße bis 2050 gehandelt werden MUSS. Nichts! Liegt das vielleicht auch an der deutschen Regierung?

      40.000 in Achen sind viel zu wenig. Da muss noch etwas mehr kommen. Was mich betrifft, bin ich gerne dabei.

      Und außerdem: Was wollen WIR dazu beitragen, dass die Schwellenländer klimaneutraler Wohlstand erreichen?



      Durch Export von Hühnerfleisch?



      Die Klimabewegung muss in Deutschland schnellstmöglich weg vom nationalistischen Denken und international denken. Sonst verkommt das zum Populismus, an der sich dann auch der ADAC beteiligen kann.

  • Die Systemfrage muß jetzt konkretisiert werden.



    Es ist eine Kreislaufwirtschaft auf Grundlage des Verursacherprinzips, bei der der Erde nicht mehr Recourcen entnommen werden als diese hergeben kann. Ohne Naturvernichtung und Menschenausbeutung.



    Momentan lebt der Deutsche als hätten wir drei Erden. Ein Großteil unserer Recourcen für die Produktion von Gütern wird unter erbärmlichsten ökologischen und sozialen Bedingungen weltweit generiert. Auch wenn die Meisten es nicht hören möchten. Unser Konsum beruht auf Ausbeutung von Natur und Menschen weltweit. Kolonialismus 2.0.



    Zudem verändern wir Deutschen mit ca 10 t CO2- Ausstoß pro Kopf apokalyptisch das Klima und somit die Lebensgrundlage aller Menschen dieser Erde.



    Von diesen 10 t auf die verträglichen 2 t runterzukommen bedeutet nicht nur ein politischer und wirtschaftlicher Systemwandel, sondern ein revolutionsartiges schleunigstes Umdenken im Konsumverhalten.



    Ob jedem wirklich bewußt ist, daß dann die Urlaubsrumfliegerei, Kreuzfahrten, Fleisch- und Kuhbabymilchkonsum, Billigklamotten, jede 1-2 Jahre ein neues Handy, Fernseher, Auto, usw. in kürzester Zeit eingestampft werden muß auf ein absolutes Minimum ? Nicht nur ein bisschen weniger hier und da und sich dann schon als ökologisch verantwortungsvoll halten, nein, rigoros verzichten auf allen Gebieten.



    Aber Verzicht kann auch sehr wertvoll sein: Mehr Zeit und Muße, mehr Natur, mehr glückliche Menschen weltweit.



    Die jungen Leute auf den Straßen gehen mit Freude, Mut, Durchhaltevermögen und Elan an die Sache ran. Wir Älteren sollten uns unbedingt anstecken lassen. Die große Hoffnung gilt dieser jungen Generation.



    Der Systemwechsel beginnt in den Köpfen jedes Einzelnen. Nur bequem auf Politiker und Wirtschaft warten, daß die was tun, bringt rein gar nichts.



    Und es bringt auch gar nichts nicht selber mit gutem Beispiel voranzugehen mit der naiven Begründung: "Ich allein kann ja gar nichts tun" oder: "Ich allein kann die Welt nicht verändern"

    • @Traverso:

      "Die jungen Leute auf den Straßen gehen mit Freude, Mut, Durchhaltevermögen und Elan an die Sache ran. Wir Älteren sollten uns unbedingt anstecken lassen. Die große Hoffnung gilt dieser jungen Generation. "

      Yup. Wird Zeit, dass wir noch mal den Arsch hoch bekommen. Ich war das letzte mal in den 80er auf der Strasse.

      40.000 ist super, aber noch zu wenig.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Traverso:

      .



      Zu dem was Sie sagen gibt es keine Alternative. Wie viele wissen das und sind bereit den Weg zu gehen?

  • Am 23. Oktober 1983 demonstrierten in Westdeutschland rund 1.500.000 Menschen für Frieden und Abrüstung, alleine in Bonn waren es 500.000 Menschen. Die Grünen um Petra Kelly waren da noch fest in der Friedensbewegung verankert. Olivgrün noch unbekannt.

    Wenn heute 40.000 Menschen für eine Wende in der Klimapolitik demonstrieren, dann ist das -verglichen mit den obigen Zahlen- wenig. Allerdings demonstrieren hier Menschen aus der bürgerliche Mitte. Und deshalb tragen sie die Diskussion in die konservartiven Parteien. Es mag sein, dass diese bürgerliche Bewegung erfolgreicher sein wird.



    Dagegen spricht, dass die etablierten Parteien zwar verbal auf der Seite der KlimaschützerInnen stehen, de facto aber bemüht sind, möglichst schmerzfrei mit den Mitteln des neoliberalen Kapitalismus Änderungen herbei zu führen. Es wird leicht sein, der Forderung nach CO2 Steuern nachzugeben. Wie immer mit Ausnahmebestimmungen. Wahrscheinlich für die extremen CO2 Produzierer. Und wahrscheinlich wird die Automobilindustrie ein neues Zeitalter der Schwindel erregenden Gewinnmaximierung einläuten auf Kosten der Länder, deren Rohstoffe unbedingt benötigt werden und die nötigenfalls militärisch "abgesichert" werden. Mali ist ein Beispiel.

    Abgesehen davon, dass Klimanationalismus keine Lösung ist, sehe ich viel zu wenig Bemühungen, Klimapolitik zu internationalisieren. Noch nicht einmal die EU schafft eine vernünftige Zielsetzung.

    Es wird so sein, dass Klimapolitik eine Zeit lang DAS innenpolitische Thema sein wird und alle anderen wichtigen Themen zunächst verdrängt. Insgesamt keine guten Aussichten.

    Die Meinung, dass man trotz allem jetzt anfangen mus auch auf eng begrenzter regionaler Ebene mit wirksamer Klimapolitik, mag richtig sein. Für die Entwicklung des Klimas wird das keine Rolle spielen. Aber was wäre die Alternative? Darüber lohnt sich nachzudenken, wenn man es ernst meint.

  • Wenn die Polizei, nach eigenen Angaben, bei RWE NACHFRAGEN muss , wie es weitergehen soll ist ein Abnn gebrochen. Dann zaheln die Bürger für einen einsatz zu Gunsten privater Superkapitalisten. Warum nur, regt sich da sonst keiner drüber auf? Daß ein Konzern über eine (noch...) öffentliche Polizei verfügt, als wärens privat bezahlte schwarze Sherriffs!

     

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    Die Moderation

  • ich bin 51 jahre alt..... wir waren auch in brokdorf damals....und in der hafenstrasse als die barrikaden brannten..... Ziele hatten wir wenige, ebenso wie erfolge.... ich finde die jetzige Situation spannender als alles andere in/aus der politik meiner letzten 40 Jahre.... danke Kinder.....